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"Stasi und Neue Musik"

Integral-Art-Kunstaktion 2013-2

"zur Prostitution gezwungen"? --- Sendung Deutschlandfunk-Kultur, 26.11. 2020: "GEORG KATZER – HUMANIST UND KOMPONIST" ... ???

 

In dieser Deutschlandfunk-Sendung wurde Georg Katzer zitiert. Befragt zu den Privilegien, die einige Künstler in der DDR genossen, antwortet er (O-Ton aus einer Sendung von Ende 1989): „Ja, das ist natürlich ein sehr heikler Punkt, weil er eine Schuldfrage berührt. Also, ich bekenne mich ja dazu, dass ich in den letzten Jahren auch so einen schönen Pass hatte mit einem Stempel, der mich in die Lage versetzte, jederzeit aus- und einzureisen. Und wenn ich jetzt sage, ich hab das immer mit bißchen Schamgefühl gemacht, wenn ich in der Friedrichstraße durch den Diplomatendurchgang ging, und auf der anderen Seite stauten sich die Rentner in 100m langer Schlage und warteten also geduldig bis sie vom Zoll unfreundlich abefertig wurden, ja, also wohl war mir da nicht. Aber ich hab das Privileg schon, ich hab den Pass genommen, als ich ihn kriegte. Und ich weiß schon, dass ich ne gewisse Rolle gespielt habe, natürlich in der ganzen Art, wie sich der Staat versucht hat, auch nach außen darzustellen, indem er die Sportler und die Künstler rausgeschickt hat. Mir war das schon bewußt, aber ja, … ich bin eben … ich habe diesen … - in der Beziehung -  

unglücklichen Beruf, der mich da also in der Beziehung eben zur Prostitution gezwungen hat." (Georg Katzer) 
Angesichts dieser Aussage von Georg Katzer stellen sich folgenden Fragen: Welche Komponisten oder anderen Musikfachleute wurden in der DDR warum und wie "zur Prostitution gezwungen"? Oder war diese Prostitution eher freiwillig? Wie sah diese Prostitution konkret aus; gingen sie mit der Partei oder der Stasi ins Bett - oder mit beiden? Was mussten sie konkret tun oder lassen, um den ständigen West-Reisepass zu bekommen? Hatten sie im Westen z.B. für "Verbindungsaufnahme" und "Desinformation" zu sorgen und entsprechende "Reiseberichte" zu schreiben? Welche anderen Vorteile wurden diesen Prostitutierten in der DDR außer dem ständigen West-Reisepass noch gewährt? Und wie fanden diese Prostitutierten-Privilegien nach dem Mauerfall ihre Fortsetzung? Gibt es im Bereich der Musik auch heute noch Formen der Prostitution?
 
War Georg Katzer angesichts seiner Prostitution legitimiert, sich 2013 als Oppositioneller darzustellen? Tat er das aus eigenem Antrieb? Was hat ihn dazu ermutigt, wer ihn dazu aufgefordert? Welche tiefergehenden Interessen sind damit verbunden? Und wer hat dafür gesorgt, dass er das Bundesverdienstkreuz erhielt?
 

Zumal die SED-PDS-LINKE im Zuge der Wende lt. ZDF-Serie “Preis der Freiheit“ enorme Finanzressourcen beiseite schaffte und (damit?) in den vergangenen 30 Jahren insbesonders im Kulturbereich beträchtlichen Einfluss und viele Posten erlangte (s.a. mein Brief an Gregor Gysi zum 3.10.2020), muss die Frage erlaubt sein, wer seither wie von der SED-PDS-LINKE „zur Prostitution gezwungen“ bzw. „gekauft“ und damit auch noch im Nachhinein in die realsozialistische Ideologie und ihren Totalitarismus verstrickt wurde.

Wäre es angesichts dessen und im Hinblick auf die Zukunft Europas nicht höchste Zeit für eine Aufarbeitung der Totalitarismusverstrickung des Musikbereiches?
 
H. Johannes Wallmann, Berlin, 2.12. 2020
 
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Fakten gegen die Verdrehung bzw. Verschleierung von Tatsachen

 

Wie an den Dokumenten der „gruppe neue musik weimar“ zu sehen, hatte ich  Georg Katzers „Divertissement à trois“ häufig zur Aufführung gebracht. Ich stand mit ihm in einem Du-Verhältnis. Nach der Wende tat Georg Katzer (auch in den vielen bundesdeutschen Gremien, in denen er mitwirkte, z.B. im Präsidium des Deuschen Musikrates) allerdings so, als hätte es dieses Ensemble, mich oder andere Ausreise-Bürgerrechtler unter den Komponisten nie gegeben. Dies dürfte nicht nur indirekt mit seiner Verstrickung in die SED-Dikatur zu tun haben ... Zumal ich zahlreiche große Klang-Projekte zu realisieren und (als Schüler und Partner Kurt W.Streubels) eine neue zukunftstragfähige Moderne-Philosophie auszuformulieren hatte, nahm ich das bis 2013 hin. Für Georg Katzer waren von 1990 bis 2013 somit 23 Jahre Zeit, tatsächlich oppositionelle ehem. DDR-Komponisten anzuerkennen, anstatt sie auszugrenzen. Aber nichts dergleichen. Stattdessen beanspruchte er im Rahmen des Leipziger Bachfestes 2013 nun sogar selbst, ein DDR-Oppositioneller gewesen zu sein. Das war nicht nur eine fatale Verdrehung der Tatsachen, sondern – im Hinblick auf 25 Jahre Mauerfall 2014 - auch der Versuch, jene Komponisten, die tatsächlich Mut zur Opposition und zu einem DDR-Ausreiseantrag aufgebracht hatten (Georg Katzer kannte sie persönlich!) nun endgültig aus den entsprechenden musik- und kulturgeschichtlichen Zusammenhängen zu verdrängen. Versuch einer - gut gedeckten - Verschleierung der Totalitarismus-Verstrickung von "Katzer & Co."? Zumal er dies gerade in der Stasi-Zentrale „Runde Ecke“ von Leipzig tat, der Stadt meiner politischen Familiengeschichte, konnte ich dazu nicht schweigen. So benannte ich Fakten und zog damit den heftigen Zorn von „Katzer & Co.“ auf mich …" H.Johannes Wallmann, 17. Februar 2021

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Zukunft lässt sich nur so gut gestalten, wie Vergangenheit aufgearbeitet ist.

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 INTEGRAL-ART-KUNSTAKTION 2013-2

Brief  von H. Johannes Wallmann an das Leitungsgremium des Bachfestes Leipzig und das Bürgerkomitee Leipzig e.V., 19.6. 2013 

Btr.: Programm „Neue Musik und Stasi“ am 19./20. Juni 2013 innerhalb des Leipziger Bachfestes

 
Sehr geehrtes Leitungsgremium des Bachfestes Leipzig,
sehr geehrte Damen und Herren vom Bürgerkomitee Leipzig e.V.,

um der Zukunft unserer Kultur willen (und im Rahmen meines ICH-SCHWEIGE-NICHT-Projektes - s.u.) muss ich Sie bedauerlicherweise darauf aufmerksam machen, dass Sie mit dem Programm „Neue Musik und Stasi“ am 19./20. Juni 2013 innerhalb des Leipziger Bachfestes bestimmten Interessen von „Wendehälsen“ aufgelaufen sind. Mit der prominenten Unterstützung des Bachfestes und des Bürgerkomitee Leipzig e.V. wollen diese nun offenbar auch über das Thema „Neue Musik und Stasi“ Deutungsmacht erlangen.

Es bleibt mir daher nichts anderes übrig, als konkret zu werden. So war z.B. Georg Katzer von 1982-89 Vizepräsident des DDR-Komponistenverbandes und zugleich vielreisender DDR-Westreisekader. Dazu sei auch hingewiesen
auf Anmerkung 2) meines Offenen Briefes zum Symposium „Autonomie und Lenkung. Die Künste im doppelten Deutschland“, Leipzig 4.-6. April 2013.

Es ist bezeichnend, wie die Protagonisten der beiden Konzerte das Thema besetzen und sich dafür jetzt offenbar quasi auch selbst als DDR-Oppositionelle inszenieren wollen. In ihren teils enormen Einflusssphären seit der Wende trugen sie jedoch bewusst dazu bei, jene „Avantgarde“- Komponisten klein zu reden, zu stigmatisieren und - wie nun auch hier - aus den Zusammenhängen zu eliminieren, die in der Tat oppositionell waren und mit ihren DDR-Ausreiseanträgen ein klares Nein gegen das SED-Unrechtssystem formulierten (s.a. mein Buch DIE WENDE GING SCHIEF, Kulturverlag Kadmos 2009). Da als Rechtfertigung für solche Ausgrenzungen gern fachliche Argumente bemüht werden, hier ein Link zu einem Video, in dem sich Spitzenmusiker z.B. über meine Musik äußern.: http://vimeo.com/20895644

Wahrhaftigkeit ist für Kultur von entscheidender Bedeutung, denn andernfalls verliert sie Akzeptanz, Berechtigung und somit auf Dauer ihre Zukunft. Jenseits von Traditionalismen sollte dies gerade auch für ein Bachfest von hoher Wichtigkeit sein und nicht aus den Augen und Ohren verloren werden.

 In diesem Sinne mit freundlichen Grüßen aus Berlin in meine Geburtsstadt Leipzig,

Anlage als pdf: Seite 3-Artikel der LVZ / DNN vom 26.3. 2013 „Agent Wallmann und sein Sohn“
 
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Email des Thomaskantors an H.Johannes Wallmann, 19.7. 2013

 

Sehr geehrter Herr Wallmann,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 19.06.2013. Ich kenne die Problematik der »Wendehälse«, die sich auf gefährliche Weise mit den »unwissenden« Wessis verbünden. Wir können nur nachträglich immer wieder an die Wahrhaftigkeit appellieren und die »virtuosen« Wendehälse zur Rede stellen. Ein Ausschluss der »Angepassten« wird nicht möglich sein! Übrigens ist die Veranstaltung »Neue Musik und Stasi« eine Veranstaltung des Bürgerkomitees, das wegen der terminlichen Überschneidung mit dem Bachfest kooperierte. Für die inhaltliche Seite ist allein das Bürgerkomitee verantwortlich. Die Konsequenz aus deren Unachtsamkeit wird aber sein, dass wir eine derartige Kooperation nicht wieder durchführen können.

Mit freundlichen Grüßen,

Georg Christoph Biller

i. A. ...

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Email von Georg Katzer an Susanne Wallmann, 23.6. 2013

Betreff: Fwd:
Von: Georg Katzer

Datum: 23. Juni.2013 09:54.04 MESZ

Guten Tag, Frau Wallmann!

Zu Ihrer diffamierenden Mail an das Bachfest Leipzig stelle ich Folgendes fest: Für mein Engagement vor und bei der Wende habe ich das Bundesverdienstkreuz1) aus den Händen von Roman Herzog empfangen. Dass Johannes Wallmann in den 80ern einige Drucke2) bei Peters Leipzig bekommen hat war meinem Einsatz für Wallmann zu danken, denn als einer der fünf Vizepräsidenten des Kompnistenverbandes war ich für die Auswahl der Werke und die Papierakquise verantwortlich. Schon ´77 und ´78 durfte ich in die Schweiz3) bezw. nach Frankreich reisen um mir dort meine Kompositionspreise abzuholen. Danach war ich oft zu Arbeitsaufenthalten in Frankreich4) , auch zu einer Gastprofessur in den USA. Ich bin also nicht geschickt worden ("Reisekader")6) , sondern meine Reisen haben sich aufgrund erfolgreicher Arbeit ergeben.

G. Katzer

Kommentare und widerlegende Fakten zur obenstehenden Mail von Georg Katzer an Susanne Wallmann:

1) Bundesverdienstkreuz: Kulturell bezeichnend, dass es ddr-staatstreuen DDR-Komponisten wie Georg Katzer (2003), Lothar Voigtländer (2015) oder Siegfried Matthus (2015) verliehen wurde, die sich bestens an die SED-Diktatur angepasst und keineswegs für die „Freiheit der Kunst“ eingestanden hatten.

2) Drucke von Wallmann-Kompositionen bei Edition Peters: Armin Köhler (damals Lektor bei E.P.) sprach 1984 bzgl. der Wallmann-Drucke bei E.P. von einer „ganz großen Schweinerei“. (K&CoDok.1) Worin bestand diese; war der Vizepräsident des DDR-Komponistenverbandes Georg Katzer darin involviert? Bestand evtl. sogar ein Zusammenhang zu seiner Reise 1984 nach Darmstadt? (K&CoDok.1) Die 2021 erschienene Studie von Gottfried Meinhold zeigt, wie genau die SED-Diktatur und ihre Stasi vorgingen (s.a. Arbeitspapier des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 52: Gottfried Meinhold "Prominente Professoren der Musikhochschule Weimar als Handlanger der DDR-Staatssicherheit").

3) Zur Schweiz-Reise und weiteren Reisen von Georg Katzer: Auch H.Johannes Wallmann hatte 1980 und 1984 Einladungen nach Boswil/Schweiz. Im Gegensatz zu Katzer erhielt er von den DDR-Behörden jedoch keinen Reisepass, um seinen Aufenthaltspreis „abholen“ zu können. Ebenso erging es Wallmann bzgl. Darmstadt und Witten, wo Georg Katzer selbstverständlich anwesend gewesen ist. (K&CoDok.2, 3, 4, 5, 6; s.a. DaDok.2)

4) Zu Georg Katzers Reisen nach Frankreich: Nach Aussage eines namhaften westdeutschen Musikwissenschaftlers sei das Studio für elektronische Musik in Bourges/Frankreich ein „Kommunisten-Nest“ gewesen. Wie also kamen Einladungen an Georg Katzer dorthin zustande? (Ja, er war Leiter des Elektronischen Studios der Ostberliner Akademie der Künste.)

5) Georg Katzer, 23.6.2013: “meine Reisen haben sich aufgrund erfolgreicher Arbeit ergeben“ – aufgrund welcher erfolgreichen Arbeit von Georg Katzer? Nur "erfolgreiche" Kompositionsarbeit kann es nicht gewesen sein, sonst hätte auch Wallmann nach den an ihn aufgrund seiner Kompositionen ergangenen Einladungen entsprechende Reisegenehmigungen bekommen müssen. Hat er aber nicht. (K&CoDok.7)

6) Kann Georg Katzer mit einem ständigen DDR-Westreisepaß tatsächlich kein „Reisekader" der DDR gewesen sein, wie er behauptet? Nein! Denn in der o.g. DLF-Sendung vom 26.11. 2020 räumte Katzer im O-Ton von Ende 1989 ein, dass er bzgl. seines ständigen DDR-Westreisepasses zur „Prostitution“ gezwungen gewesen sei (s.o.).

P.S.: Mit der Aufzählung dieser Fakten geht es nicht darum, Georg Katzer vorzuwerfen, dass er kein DDR-Oppositioneller gewesen ist, sondern lediglich darum, seinen 2013 in Leipzig zur Schau getragenen Oppositionellen-Anspruch zurückzuweisen, mit dem - gut gedeckt - tatsächlich ddr-oppositionelle Komponisten ins Vergessen gedrängt werden sollten.

 

Mail von H. Johannes Wallmann an Georg Katzer, 26.6. 2013

Betreff: Antwort an Georg Katzer - Neue Musik und Stasi

Datum: Wed, 26 Jun 2013 15:53:22 +0200

"Wir alle sind verantwortlich, für das was wir tun“ (Ausspruch Nürnberg 1945)


Guten Tag Georg Katzer,

obwohl meine Frau hinter meiner Email vom 19.6. d.J. steht (und diese daher von ihrem Account versandte), schrieb ich sie, ebenso diese, mit der ich Deinen Vorwurf der Diffamierung entschieden zurückweise. Auch nach Rücksprache mit dem Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin: Wer von 1982-89 einer der Vizepräsidenten des DDR-Komponistenverbandes, außerdem Mitglied und Prof. der DDR-Akademie der Künste und darüber hinaus DDR-Westreisekader (s.u.) gewesen ist, war Teil des DDR-Systems und keineswegs ein Oppositioneller. Dass Du Dich inder Wendezeit quasi oppositionell betätigt hast, besagt leider gar nichts, denn Tatsache ist, dass gewisse andere Leute das auch gemacht
haben. Mein Vorwurf an Dich ist jedoch nicht, dass Du kein Oppositioneller gewesen bist, sondern dass Du dies trotz besseren Wissens beanspruchst und zugleich dazu beiträgst, Leute wie uns aus den entsprechenden Zusammenhängen zu eliminieren.

Zunächst ein Blick auf die Verbrechen des realsozialistischen Unrechtssystems insgesamt: ca. 70 Millionen Tote durch Mao zu Friedenszeiten, 29-46 Millionen Tote in den sowjetischen GULAGs, 1-2 Millionen grausam Erschlagene in Kambodscha, Hunderttausende (noch heute) in den bestialischen nordkoreanischen KZs (s.a. Film "Camp 14"), ungezählte mittels Zersetzung gebrochene Biografien durch das MfS der DDR; Zigtausende Ausreisebürgerrechtler in DDR Gefängnissen. Die DDR, am westlichsten Außenrand dieses Unrechtssystems gelegen, beging ihre Verbrechen allerdings oft eher „geräuschlos“, wofür perfide MfS-Lehrbücher geschrieben, entsprechende MfS-Forschungsaufträge vergeben sowie psycho-sozial ausgefeilte Zersetzungs- und Eliminierungsmethoden angewendet wurden. Viele sind daran gestorben. Die Künste wurden zur Ideologieproduktion missbraucht oder dafür, die ideologische Gleichschaltung zu kaschieren.

So geht es bei all dem nicht zuletzt um Kultur und damit um das Selbstverständnis des Menschen. Dies unbeachtet zu lassen, würde bedeuten, fatale – aus Nationalsozialismus und Realsozialismus resultierende - Fehlentwicklungen fortzusetzen und Kultur endgültig ideologischen, kommerziellen oder anderweitigen Interessenlagen auszuliefern. Was jedoch könnte Kultur leisten? Wir Künstler sollten prädestiniert sein, dafür fundierte Vorschläge zu unterbreiten, "denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“! Mit INTEGRALE MODERNE (Pfau-Verlag 2006) schlug ich daher vor, Kultur neu als Werte- und Intelligenzübertragungssystem zu denken und zu gestalten. So würde sich permanent die Frage stellen, was uns Künstlern - ebenso wie der Gesellschaft insgesamt - Werte und Intelligenz bedeuten. Wenn sich Künstler und Kulturschaffende jedoch, anstatt sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, lediglich ihre kleinen Vorteils-Scheibchen herausschneiden und damit Kultur als Ganzes zu einem Kaputten machen,ist es kein Wunder, wenn sie zum Einsparpotential wird und damit zunehmend in Traditionalismen und Unterhaltung versinkt. Eine der elementaren Fragen der Zukunft einer modernen Kultur ist daher, wofür wir Künstler (ggf. unter Inkaufnahme von erheblichen Nachteilen) mit unserem Leben und Werk einstehen. Deshalb ist Wahrhaftigkeit das vielleicht wichtigste Unterpfand für die Zukunft von Kultur und Kunst.

Glücklicherweise gab es eine Reihe von Komponisten, die unter Inkaufnahme von schweren Repressionen mit ihren DDR-Ausreiseanträgen ein entschiedenes Nein gegen das realsozialistische Unrechtssystem formulierten, die ideologische Instrumentalisierung der Künste ablehnten oder vielleicht lediglich etwas mehr Freiheit wollten. Doch in Deinen Einflusssphären nach der Wende, z.B. im Präsidium des DeutschenMusikrates, in leitender Position der Sektion Musik der Akademie der Künste, als Mitglied von Berufungskommissionen etc., hast Du es m.E. bewusst vermieden, diesen Komponisten - Du kanntest sie persönlich, es war für Dich keine anonyme Masse! - Fairneß und Anerkennung zuteil werden zu lassen. Anstatt sie, ihre Konzepte und Beweggründe einzubeziehen, hast Du dazu beigetragen, sie aus dem öffentlichen Bewusstsein der Neuen Musik zu eliminieren. Auch 2009 im Programmheft von Ultraschall hast Du in Deinem Beitrag ihren Widerstand (der sich relativ früh regte!) einfach mal „vergessen“. "Vergessen" hat in Deutschland jedoch eine fatale Tradition. Daher sei auch erinnert, dass es ohne den Mut der Zigtausenden Ausreisebürgerrechtler (zu denen wir zählen) kaum zum Mauerfall und zur Wiedervereinigung gekommen wäre. Es sähe dann hier wahrscheinlich eher aus wie in Nordkorea oder in China oder nun wieder in Russland und Ungarn, was u.a. der Preis für "vergessen" ist. Wir gaben den Vorlauf, der Euch mehr oder minder gezwungen hat, den Mauerfall zu vollenden; wollt Ihr Euch dafür an uns rächen?

Zumal ich ein Werk zu vertreten habe, das sich intensiv mit grundlegenden Fragen der Moderne sowie der Zukunft von Kultur und Musik auseinandersetzt, kann ich o.g. Eliminieren und „Vergessen“ naturgemäß nicht hinnehmen. Doch gab es nach der Wende (trotz der enormen Macht der Seilschaften ehem. DDR-Kulturfunktionsträger im Bereich der Neuen Musik) auch ehem. DDR-Bürger, die groß genug dachten, um in ihren Einflusssphären gegenüber meinem Werk und meiner Biografie Fairneß walten zu lassen. Ich habe mich bei Ihnen persönlich ausdrücklich dafür bedankt. Du gehörst leider nicht dazu, obwohl ich mir das durchaus gewünscht hätte.
 
Was die Reisefrage angeht, so waren Reisegenehmigungen eine Methode, mit der das SED-Regime den „Erfolg“ jener Künstler organisierte, die ihm mehr oder minder willfährig waren. Ebenso wie Du erhielt auch ich z.B. einen Kompositionspreis in der Schweiz, durfte ihn jedoch nicht „abholen“, die Reisen zu Uraufführungen meiner Werke z.B. bei den Wittener Tagen für Neue Kammermusik 1979 und 1981) oder die Inanspruchnahme meines Stipendiums beim Internationalen Darmstädter Ferienkurs für Neue Musik 1984, wo Du ebenso wie in Witten wohl „aufgrund erfolgreicher Arbeit“ anwesend gewesen bist, wurden mir von den DDR-Behörden verweigert. Dass Du seitens des DDR-Komponistenverbandes verantwortlich gewesen bist, welche Werke gedruckt wurden und welche nicht, zeugt m.E. (wie auch Dein o.g. „Vergessen“) von Deiner Verstricktheit in das realsozialistische Unrechtssystem. Was soll ich angesichts dessen zu Deinem Bundesverdienstkreuz sagen?

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass ich mich nach der Wende in diesen Fragen 20 Jahre sehr zurückhaltend verhielt, zumal ich keinerlei Interesse verspüre, Kollegen „anzuzählen“. Doch genug ist genug und mit den Veranstaltungen in Leipzig habt Ihr mich nun auch emotional derart herausgefordert (meine polit. Leipziger Familiengeschichte), dass ich nun noch klarer erkennen musste, wie wenig dienlich eine solche Zurückhaltung für die Sache der Kultur und der Musik ist.

Berlin, am 26.6. 2013

Viele Grüße,

H. Johannes Wallmann
www.integrale-moderne.de

 

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Email von Georg Katzer an Susanne Wallmann, 26.6.2013

 
Datum: Wed, 26 Jun 2013 15:59:58 +0200
Von: Georg Katzer 
An: susanne wallmann

Ich habe Ihre Mail ungelesen gelöscht und werde weitere Mails auch nicht mehr öffnen.
GK
 

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H.Johannes Wallmann: Als Georg Katzer mich 2014 bei einer Feier des Künstlerhauses Ahrenshoop aufforderte, in drei Worten zu sagen, was ich ihm vorwerfe, antwortete ich: „versuchte kulturelle Eliminierung“. Das saß; er machte anschließend aber weiter wie bisher … Doch auch für Kultur allgemein und Neue Musik konkret gilt nach wie vor ein Gedanke von Nürnberg 1945: „Wir alle sind verantwortlich, für das was wir tun“. In diesem Ansatz liegt eine Chance, die zu ergreifen wir uns gegenseitig abverlagen müssen - um der Zukunft der Menschheit und ihrer Kulturen und Künste willen. Erst Recht im Vis à vis alter und neuer Totalitarismen.

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Zur Notwendigkeit, die Totalitarismusverstrickungen von Kultur und Kunst aufzuarbeiten

 
"Zumal sich totalitäre Staaten stets „gut“ kulturell bemänteln, ist es für die Zukunft von enormer Bedeutung, die vorangegangenen Totalitarismen gerade auch in den Bereichen von Kunst und Kultur wirklich aufzuarbeiten, anstatt sie pseudo-aufarbeitend weichzuspülen. Erstrecht angesichts des postsozialistischen Gift-, Mord- und Willkür-Systems Putins, der realsozialistischen nordkoreanischen KZs, des chinesischen Real-Sozialismus mit seinen KZs, der fatalen Lage der Uiguren und Tibeter, der digitalen Totalüberwachung mittels des "Sozialkreditsystems" sowie des verzweifelten Freiheitskampfes der Hongkonger. Aber auch angesichts des Freiheitskampfes z.B. in Belarus, den totalitären Ambitionen z.B. von Orban, Kaczyniski, Erdogan oder auch angesichts von „Trumps Erstürmung“ des Capitols sowie angesichts rechter Parteien in Europa: Ohne die Aufarbeitung der vorangegangenen Totalitarismen werden neue Totalitarismen kaum zu verhindern sein.

Kultur und Künste als Verschleierungspotential ?

(bitte anklicken)

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War der Realsozialismus nicht so schlimm?

z.B. Sowjetunion:
https://www.arte.tv/de/search/?q=gulag&page=1

z.B. China: Tibet, Honkong, Uiguren oder auch das:
https://www.ardmediathek.de/video/doku-und-reportage/china-land-der-einzelkinder/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xMzgxNDY/

z.B. Kambodscha:
https://www.arte.tv/de/videos/087140-000-A/rote-khmer-die-wunden-sind-nicht-verheilt/

z.B. Korea-KZs, siehe Film "Camp 14".

DDR harmlos? Mauer, systematische Zersetzungs-Methoden der Stasi, systematische Ausgrenzung und kulturelle Eliminierung Andersdenkender/Andersgeborener, systematischer Rufmord statt Mord!

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Dokumenten-Verzeichnis (Dok. K&Co):

K&CoDok1: H.Johannes Wallmann „Die Wende ging schief“ (Kulturverlag Kadmos 2009), S.148: Armin Köhler, E.P.: „große Schweinerei“ // Tel. von Wallmann mit Friedrich Hommel, IMD: Katzer/Schneider kommen 1984 nach Darmstadt / Ferneyhough lektorierte Arbeit von Wallmann und empfahl sie für Aufführung durch Arditti-Quartett

K&CoDok2: 1980-Einladung für Wallmann zum Komponisten-Seminar Boswil/Schweiz - die Reise wurde von den DDR-Behörden nicht genehmigt

K&CoDok3: 1984-Einladung für Wallmann zum Komponisten-Seminar Boswil/Schweiz und 4-wöchiger Studienaufenthalt - die Reise wurde von den DDR-Behörden nicht genehmigt

K&CoDok4: 1984 - Einladung für Wallmann zum Internat. Darmstädter Ferienkurs - die Reise wurde von den DDR-Behörden nicht genehmigt

K&CoDok5: 1979-Einladung für Wallmann zu den Wittener Tagen für neue Kammermusik - die Reise wurde von den DDR-Behörden nicht genehmigtK&CoDok6: 1981-Einladung für Wallmann zu den Wittener Tage für neue Kammermusik - die Reise wurde von den DDR-Behörden nicht genehmigt

K&CoDok7: H.Johannes Wallmann „Die Wende ging schief“ (Kulturverlag Kadmos 2009), S.132: Reisen + damit verbundene Aufgaben (H.Knabe: Der diskrete Charme der DDR“)

K&CoDok8: 1985-Einladung für Wallmann zu Proben/Aufführungen seiner Komposition durch das "ensemble avance" - die Reise wurde von den DDR-Behörden nicht genehmigt

K&CoDok9: Ereignisse 1984/85, die zu Wallmanns DDR-Ausreise-Antrag führten

K&CoDok10: Email 23.6.2013 von Georg Katzer; er war im DDR-Komponistenverband u.a. dafür zuständig, was gedruckt werden durfte

Anmerkung zu den Dokumenten: Für die krass unterschiedliche Behandlung der Reiseanträge von Katzer und Wallmann muss es für die DDR-Behörden triftige Gründe gegeben haben. Welcher Art waren diese?

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