Aufruf zur Aufarbeitung der Totalitarismus-Verstrickungen des Musikbereiches - z.B. der Franz-Liszt-Hochschule Weimar
Integral-Art-Kunstaktion anlässlich von 30 Jahren Mauerfall / Deutsche Einheit
(Zitat aus Satz 20, Jürgen-Fuchs-Zyklus, ich-schweige-nicht.de)
Zumal es für namhafte totalitär verstrickte Musiker und Musikwissenschaftler nahezu nahtlose Übergänge von Nationalsozialismus, Realsozialismus zur Sozialen Marktwirtschaft gab (das Wort „sozial“ verbindet alle drei politischen Systeme, impliziert aber auch Sozialbestechung, wie Götz Aly es nennt), steht der Musikbereich in Gefahr, ein „Schläfer“ alter wie neuer totalitärer Mentalitäten zu sein. Das Erstarken und die Polarisierung dieser Mentalitäten hat die Thüringer Landtagswahl am 27.10. 2019 einmal mehr verdeutlicht. Neo-totalitäre Mentalitäten sind jedoch keineswegs nur ein regionales deutsches, sondern ein europäisches Problem, auf das es zu antworten gilt (eine Antwort auf nebenstehendem Bild 3 – S.140/41 aus dem Sammelband Integral-Art-Festspiele).
Weil Musik - die universellste und für mich als Komponist schönste aller Künste - während des Realsozialismus ebenso wie während des Nationalsozialismus in großem Umfang zur kulturellen Bemäntelung totalitärer Mentalitäten und Verbrechen missbraucht wurde,
ist es hinsichtlich dessen sowie des drohenden Verlustes der Mitte nicht länger hinnehmbar, die Aufarbeitung der Totalitarismus-Verstrickungen des Musikbereiches zu unterlassen.
Angesichts der Entwicklung neo-totalitärer Mentalitäten in Deutschland und Europa, aber auch z.B. der fortgesetzten Verweigerung der Musikhochschule Weimar oder der Staatsoper Berlin, sich ihren Totalitarismus-Verstrickungen zu stellen, rufe ich anlässlich von 30 Jahren Mauerfall / Deutscher Einheit die Musikwissenschaften wie den gesamten Musikbereich dazu auf, sich - um der Zukunft von Kultur und Demokratie willen - dafür einzusetzen, dass auch die realsozialistischen Totalitarismus-Verstrickungen des Musikbereiches („E“ gleichermaßen wie „U“) aktiv und angemessen aufgearbeitet werden.
H. Johannes Wallmann - Berlin, am 9./31. Oktober 2019
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Die unterlassene Aufarbeitung der (realsozialistischen) Totalitarismusverstrickung - dargelegt am Beispiel der Franz-Liszt-Hochschule Weimar -
gehört zu den großen geistig-kulturellen Problemlagen Deutschlands und Europas
Als einer von relativ wenigen Komponisten gehörte ich zur großen Gruppe der DDR-Ausreisebürgerrechtler. Mit Name und Anschrift leisteten wir mit unseren Ausreise-Anträgen anti-totalitären Widerstand gegen die SED-Diktatur und schufen damit eine der wesentlichen Voraussetzungen für die 89er Fluchtwelle, den Mauerfall, die Deutsche Einheit. Obwohl wir den offiziellen DDR-Bürgerrechtlern bestenfalls als Oppositionelle zweiter Klasse gelten, waren wir die mit Abstand größte DDR-Oppositionsgruppe und weder "Schlaraffenland-Träumer" noch "Totalverweigerer". Vor den Ausreise-Anträgen hatten viele von uns hoch engagiert zu einer liberaleren Gestaltung der DDR beizutragen versucht, wofür wir von der SED-Diktatur massiv abgestraft wurden. Tausende von uns saßen deshalb in DDR-Gefängnissen, Unzählige wurden von der Stasi systematisch zersetzt und in ihren Biografien gebrochen, viele möglicherweise sogar vergiftet01. Doch durch die Entschiedenheit unserer Ausreise-Anträge und unserer "Abstimmung mit den Füßen" brachten wir Bewegung in die totalitär versteinerten DDR-Verhältnisse. Daher waren wir in unserer Masse der SED quasi Staatsfeind Nr. 1. Jedoch fand diese unsere politische Leistung in den vergangenen 30 Jahre kaum Anerkennung. Anerkannt, gehypt, in Positionen gebracht, geehrt wurden stattdessen zahlreiche Kollaborateure der SED-Diktatur (1) … (2) ... und Sympathisanten des Realsozialismus. Was mich selbst betrifft, so hatte ich trotzdem gewissermaßen Glück, lebe und konnte auch angesichts extrem schwieriger Umstände ein großes künstlerisches Lebenswerk schaffen02. Zugleich sehe ich mich durch meine Biografie03 quasi naturgemäß in der Verantwortung, die Verbrechen und Machenschaften des Realsozialismus nicht unter den Tisch fallen zu lassen.
Denn Zukunft lässt sich nur so gut gestalten, wie Vergangenheit aufgearbeitet ist.04
Dieser Gedanke gilt auch für den Musikbereich. Die unterlassene Aufarbeitung seiner Totalitarismusverstrickungen (sowie der damit zusammenhängende Geistes- und Humanverrat von Komponisten, Dirigenten, Musikern, Musikwissenschaftlern, Musikveranstaltern) ist ein Beispiel für die großen ungelösten geistig-kulturellen Problemlagen Deutschlands und Europas, auf deren Basis gegenwärtig neue totalitäre Mentalitäten gedeihen und in die Mitte der Gesellschaften vorgedrungen sind. Ignoranz ist eines der Totalitarismus-Merkmale, zugleich aber auch geistige Ursache der gegenwärtigen Umweltkrise, die im Grunde die totalste Auswirkung einer großen Kulturkrise05 ist. Denn
Kultur - eine der mächtigsten Einflusssphären, die der menschlichen Gesellschaft zur Verfügung stehen - konfiguriert die Gemüter
und kann als das Werte- und Intelligenzübertragungssystem einer jeden Gesellschaft verstanden werden. Zumal Ignoranz (wie am Klimawandel zu sehen) die schlechteste / teuerste aller Methoden ist, wenn es um die Lösung von Problemen geht, ist es höchste Zeit, diese Kulturkrise in den Blick zu nehmen. Wie tief sich die mit ihr verbundenen Ignoranz-Mentalitäten samt „Kameraderie“06 in der deutschen Einheitsgesellschaft eingenistet und somit neuen totalitären Mentalitäten (s.a. AfD & Co.) Vorschub geleistet haben, sei daher hier am Beispiel des Musikbereiches aufgezeigt.
Da man mit solchem Aufarbeitungs-Ansinnen vermintes Gebiet betritt, bedarf es konkreter Fakten. Deshalb gehe ich weit zurück und setze - zumal hierzu eine Reihe bezeichnender Dokumente vorliegen07 - bei der Franz-Liszt-Hochschule Weimar an. Dort hatte ich von 1970-73 in den Hauptfächern Fagott und Komposition studiert und wurde trotz Bestleistungen vorzeitig vom Kompositionsstudium relegiert. Die SED-Hochschulleitung sah mich als „spätbürgerlich-dekadent“ sowie „auf staatsfeindlichen Positionen“08, denn ich war ebenso ein Anhänger der Ideen Arnold Schönbergs und des Weimarer Bauhauses wie des Prager Frühlings, außerdem war ich leitendes Mitglied der Evangelischen Studentengemeinde Weimars09. Nach der Relegierung vom Kompositionsstudium wurde ich mit 21 Jahren Solofagottist am Meininger Theater, 1975-79 Mitglied der Weimarer Staatskapelle und war 1975-85 Initiator und Leiter der „gruppe neue musik weimar“ 10. Mit diesem Ensemble brachte ich in der DDR nicht nur meine eigene Musik, sondern auch Werke von Schönberg, Webern, Messiaen, Stockhausen, Yun sowie Lampe, Goldmann, Ullmann, Böttger, Bredemeyer, Metsk, Katzer, Zapf, Hertel, Jannoch, Chr.Schmidt sowie weiterer Komponisten zur (Ur)Aufführung. ... Durch die damit verbundenen Erfolge suchte mich die SED-Kultur - nach der zunächst praktizierten Ausgrenzung - zwischen 1978-8111 massiv zu vereinnahmen.
Weil ich mich nicht unterwarf, blieb mir letztlich nur noch der DDR-Ausreiseantrag. Kulturpolitisch begründet
und 1986 gemeinsam mit meiner Frau gestellt, begann mit ihm eine der härtesten Zeiten unseres Lebens ... Mit dem DDR-Komponistenverband12 hatte ich mich „geeinigt“, dass die von mir vertretene ideologiefreie Kunst (später setzte ich gegen Ideologie den Begriff Ideen-Logik) in der DDR nicht möglich ist.
Was Weimar angeht, so verschrieb sich die Weimarer/Jenaer Musikwissenschaft nach der Wende besonders der DDR-Musikforschung und gab dazu etwa seit Beginn der 2000er Jahre die Schriftenreihe »KlangZeiten« heraus. Doch die Herausgeber übergingen die SED-Verstrickung der Franz-Liszt-Hochschule ebenso wie mein (Weimarer) Neue-Musik-Wirken13. Entsprechend pikant ist auch der Titel »KlangZeiten« dieser Schriftenreihe. Denn 1994 hatte ich mich mit dem Katalog der von mir geleiteten (u.a. von der Europäischen Union geförderten und unter Schirmherrschaft von Ministerpräsident Johannes Rau stehenden) internationalen BAUHÜTTE KLANGZEIT WUPPERTAL14 um die ausgeschriebene C4-Professur für Komposition der Weimarer Hochschule beworben. Im Bewusstsein, dass ich mit meiner Bewerbung ohnehin vermintes Gebiet betrat, wies ich Rektor Prof. Dr. Wolfram Huschke auf die notwendige Aufarbeitung der SED-Verstrickung dieser Hochschule hin15.
Den Katalog meines Klangzeit-Projektes (mit dem ich 1991 an den Ideen des Weimarer Bauhauses anknüpfte und u.a. den Begriff Klangkunst neu prägte)
hatte ich 1993 außer ihm auch Prof. Dr. Michael Berg überreicht - dem Gründer und Herausgeber der »KlangZeiten«-Schriftenreihe. Sowohl Berg als auch Huschke kannten mich persönlich; sie hatten zu DDR-Zeiten Aufführungen meiner Musik rezensiert16 ... Dass Berg dann aber den Titel »Klangzeit« mit »KlangZeiten« ohne Quer- und Quellenhinweise fremdnutzend modifizierte und mich als dessen Urheber zugleich gezielt aus dem Weimarer Zusammenhang eliminierte, ist eine typisch totalitäre Desinformationsmethode – gängig für die SED und ihr MfS, Gift für Kultur und Demokratie, und völlig inakzeptabel für wissenschaftliche Arbeit. An solch „musikwissenschaftlichem“ Vorgehen verdeutlicht sich (abgesehen von dem Versuch der kulturellen Elimininierung meines Schaffens und meiner Person aus polit./ideolog. Verschleierungsgründen) jener »kapitale Systemdefekt« der Musikwissenschaft17, der bereits bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verstrickung der Musikwissenschaft zu Buche schlug. In unserem Band „KUNST – EINE TOCHTER DER FREIHEIT?“ (Kadmos 2017) wird mit Kapitel 4 auf diesen Systemdefekt näher eingegangen18.
Wie systematisch der Musikbereich zur Abwehr der Aufarbeitung seiner realsozialistischen (wie auch seiner nationalsozialistischen) Totalitarismusverstrickung vorgeht, zeigt nicht nur die Schriftenreihe »KlangZeiten«, nicht nur Wolfram Huschkes Buch „ZUKUNFT MUSIK. Eine Geschichte der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar“19a, zeigen nicht nur nur zwei krude Veranstaltungen im April und Juni 2013 in Leipzig19b, sondern auch die Stilisierung von Kurt Masur zum Leipziger „Revolutionsheld“. Er hatte eng mit dem SED-System kollaboriert20a,
in seinem privaten Vestibül hatte Masur zugleich aber auch eine Büste von Hitlers Stardirigent Wilhelm Furtwängler stehen20b.
Heinrich Besseler, der einstmalige Doyen der DDR-Musikwissenschaft in Jena und Leipzig, schrieb 1937 über Adolf Hitler: „Wir haben zu ihm ... unbedingtes Vertrauen“ - ein Vertrauen, das Besseler „kultur- und musikwissenschaftlich“ verankerte. Der namhafte Tübinger Prof. Thomas Schipperges hielt dazu fest:
„Tiefer kann Denken nicht sinken und weiter sich Kunst und Wissenschaft nicht von Freiheit entfernen“21.
Nicht minder scharf steht es bei Hans Pischner22, der ein nationalsozialistischer Eiferer war, bevor er einer der höchsten SED-Kulturfunktionäre wurde (u.a. Mitglied des ZK der SED) und die Freiheit der Kunst systematisch mit Füßen trat. Ihm wurden noch 2014 in hohem Alter (außer einer umfangreichen Sendereihe durch DeutschlandRadio 2013) höchste bundesrepublikanische Ehrungen zuteil. Die Berliner Staatsoper Unter den Linden wehrte meinen Einspruch gegen diese Ehrung lapidar ab; niemand sonst schloss sich meinem Widerspruch an. Zur Aufarbeitung der SED-Verstrickung seines Hauses lädt Staasopernintendant Matthias Schulz nun für 2020 u.a. ehemalige Jenaer/Weimarer MusikwissenschaftsstudentInnen ein - Ironie der Geschichte? Berlin hat einen Kultursenator der SED/PDS/LINKEN, daher dürfte diese Haltung politisch gedeckt sein. Die Veranstaltung24 der Leipziger Philharmonie mit Gregor Gysi in der Leipziger Peterskirche setzte all dem noch eins drauf - eine geschickt eingefädelte kulturelle Bemäntelung und Verharmlosung des Links-Totalitarismus mit Hilfe von Beethovens Neunter und der Kirche.
„Es ist undenkbar,dass zwei Diktaturen in Deutschland nichts miteinander zu tun haben... Es wird eher so sein, dass die Nähe den Aufschrei und das Tabu produziert“
heißt es im Satz 20 „die lager“ des Jürgen-Fuchs-Zyklus (ich-schweige-nicht.de). Realsozialismus - über 100 Millionen Ermordete, Umgebrachte, Versklavte, Gebrochene - alles halb so schlimm?
Ich bin ein Davongekommener, aber gerade deshalb sehe ich mich in der o.g. Verantwortung. Daher zurück nach Weimar. Was mein Studium dort angeht, so hatte die Thüringer Reha-Behörde (bei der ich 2002 einen Antrag auf Rehabilitierung gestellt hatte) eine Stellungnahme der Weimarer Hochschule angefordert. Diese erging mit Datum vom 4.5. 2006 und wurde vom letzten SED-Direktor für Studienangelegenheiten Hans-Peter Hoffmann (2006 nun Referent für Studienangelegenheiten genannt) unterzeichnet25. Der Jenaer Professor em. Dr. G. Meinhold (sein Buch „Der besondere Fall Jena“ räumt mit der DDR-Vergangenheit seiner Universität auf), beurteilte mit Datum 6.12. 2018 diese Stellungnahme als
„ein empörendes, höchst skandalöses Dokument, das durch sachliche Fehler, Auslassungen und Unstimmigkeiten die denkbar gröblichste Verletzung der Sorgfaltspflicht des Schreibers erkennen lässt“26
(diese Einschätzung oben rechts als pdf). Von Brisanz ist diese Stellungnahme auch deshalb, weil sich an ihr die betrügerischen Machenschaften der DDR/SED-Kameraderie und ihrer „Schleppenträger“ bis heute verdeutlichen. Zumal ich die 1974 auf meinen Namen ausgestellte Diplomurkunde 2008 erstmals zu sehen bekam, bezeichne ich diesen skandalösen Vorgang an der Weimarer Franz-Liszt-Hochschule zusammenfassend als Diplombetrug. Günter Knoblauch/Roland Mey veröffentlichten dazu das Buch "Defekte einer Hochschulchronik“ (Mitteldeutscher Verlag 2017). Diplombetrug war eine gängige Methode der SED-Diktatur, um Andersdenkende auszuschalten – offenbar, um das o.g. Tabu nicht zu brechen, bis heute.*
Als 2010 der ehemalige Berliner Kultursenator sowie Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums, Prof. Dr. Christoph Stölzl, zum Präsidenten der Weimarer Hochschule ernannt wurde, setzte ich darauf, dass er die Aufarbeitung der SED-Verstrickung dieser Hochschule in Angriff nehmen würde27. Aber weit gefehlt. Sich freundlich gebend, schützte er dieses Tabu und verschanzte sich hinter Abwiegelungen, Verschleierungen, Falschaussagen28. Daher forderte ich ihn 2016 nach über fünf Jahren Hin und Her zum Rücktritt auf29. 2018 behauptete die Hochschule nun plötzlich, dass sie vor 1976 gar kein Diplomrecht gehabt habe. Doch „Dienstliche Unterlagen für diesen Vorgang sind nicht mehr zu ermitteln“ - so die Meinhold-Recherche30. Die im Hochschularchiv vorhandene Kopie meiner Diplomurkunde ist jedoch keineswegs lediglich ein „Durchschlag“ des Staatsexamenszeugnisses, wie es die Hochschule gegenwärtig imaginieren möchte, sondern trägt die vollen Unterschriften des Rektors, Hauptfachlehrers und stellv. Abteilungsleiters, die sich von jenen des Staatsexamenszeugnisses unterscheiden. Unterschreibt ein Hochschul-Rektor ein ungültiges Dokument? Unabhängig von dieser Frage dürfte diese SED-Hochschulleitung 1974 politisch kaum willens gewesen sein, mir das Diplom auszuhändigen. Denn sie hatte - was vorhandene Dokumente belegen31 - massive Manipulationen sowohl an der Bewertung der Diplomarbeit als auch an meiner Lehrbefähigung für das Fach Musiktheorie vorgenommen (was für einen Komponisten mit lebenslangen Folgen verbunden ist).
Wie alle Hochschulleitungen in der DDR war auch die der Weimarer Franz-Liszt-Hochschule eines der geschäftsführenden Organe der SED-Diktatur,
die ideologisch Unangepasste auf oftmals perfide Weise ausschalteten32. Diesen Fakt übersah Präsident Stölzl offenbar ebenso bewusst, wie er mir mit Schreiben vom 3.9. 201333 unter fadenscheinigen Gründen auch die Herausgabe der o.g. Hochschul-Stellungnahme vom 4.5. 2006 verweigerte. Unter solchen Voraussetzungen vermochte ich 2019 seiner Einladung zu einem Gespräch nicht mehr zu folgen, bot aber eine öffentliche Diskussion zum Thema an39.
Zumal dieses Angebot unbeantwortet blieb, fordere ich nun den gesamten Musikbereich auf, sich seinen Totalitarismus-Verstrickungen zu stellen,
das darüber verhängte Tabu zu brechen und endlich eine entsprechend offene Debatte zu beginnen. Es geht um nichts weniger als um die Abwehr neuer Totalitarismen sowie - angesichts von Moderne und Anthropozän -
um die kulturelle Kompetenz von Musik überhaupt.
H. Johannes Wallmann - Berlin, im Sommer/Herbst 2019 40
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*p.s.: Im Januar 2022 fand der Archivar der HfM Weimar ein Dokument auf, nach dem diese Hochschule ab 1.9. 1976 berechtigt war, Diplome zu erteilen. D.h., diese Hochschule hatte seit dem 1.9.1976 und erstrecht nach der Wende Zeit, mir dieses Diplom zu überreichen. Aber dazu hätte sie ja auch Ihren Betrug bzw. ihre realsozialistische Totalitarismusverstrickung eingestehen müssen. So unterließ sie es und verleugnet beides bis heute.
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Brief an Studierende der Musikwissenschaft vom 28.1. 2019 (click here)
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Günter Knoblauch am 6.2. 2022:
Die HfM steht schon seit vielen Jahren unter Kritik,
alle Aufforderungen zur Aufarbeitung ihrer DDR-Vergangenheit „weitgehend ignoriert“ und auch abgelehnt zu haben. Es gibt 4 Aspekte unter denen man die HfM ansprechen kann:
1. Dr. Jochen Staadt, Projektleiter und Redaktionsmitglied der Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin, beschreibt es so: „Beim Herübergleiten von einem System in das andere haben deutsche Schöngeister einige Übung. Dazu gehört unvermeidlich auch das Beschwichtigen und Beschönigen des eigenen Mitläufertums.“ So geschrieben im Vorwort zu „Defekte einer Hochschulchronik“ (Knoblauch/Mey, Herausgegeben vom Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Christian Dietrich, 2018, Mitteldeutscher Verlag). Wie hat die HfM sich damit auseinandergesetzt?
2. In der am 19.11.2015 vom Rundfunk übertragenen und von der ehemaligen Landesbeauftragten des Freistaates Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, Frau Hildigung Neubert, moderierten Podiumsdiskussion gab es einen Hilferuf vom Präsidenten der HfM, Prof. Stölzl: „[…] es gibt staatlich bezahlte Institute, wie z.B. die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, und […] es gibt viele Forscher, die sich mit der DDR befassen. Mögen sie sich auch mit der HfM befassen. Ich fände es toll.“ Dieses Statement von Stölzl zur Situation der fehlenden Vergangenheitsaufarbeitung an der HfM leitet die Publikation „Defekte einer Hochschulchronik“ ein und findet sich an vorderster Stelle des Bucheinbandes. Warum verhalte der Hilferuf von Stölzl ungehört?
3. In den Wochen nach dieser Podiumsdiskussion fand ein Gespräch des damaligen LBA, Christian Dietrich, in den Räumen der HfM statt. Anwesend waren sowohl Prof. Stölzl als auch Direktoren der HfM. Dietrich schätzte dieses Gespräch gegenüber dem Mitautor G. Knoblauch von „Defekte einer Hochschulchronik“ wie folgt ein: Er habe den Eindruck gewonnen, dass Stölzl wohl für eine Aufarbeitung sei, jedoch die anderen Teilnehmer dazu nicht bereit waren und abblockten. Warum musste selbst der Thüringer Landesbeauftragte vor der „Abwehrfront in der HfM kapitulieren?
4. Die Untersuchungen von Prof. Meinhold – dessen Publikation „Prominente Professoren der Musikhochschule Weimar als Handlanger der DDR-Staatssicherheit“ - Arbeitspapier des Forschungsverbundes SED-Staat der FU Berlin, Nr. 52/2021 - bestätigen die Vorhaltungen in „Defekte einer Hochschulchronik“ als auch den Charakter und die Verstrickungen der Führungsriege der HfM mit der Stasi – auch über die Jahre nach 1989 hinaus! Warum schaltete die HfM wieder oder weiter auf „ignorieren“ und auf den Mythos einer untadeligen Musikhochschule zu bestehen? Jetzt - Februar 2022 - finden wieder Podiumsgespräche zur Geschichte der HfM statt. Es ist festzuhalten, dass bisher alle Ansätze einer Aufarbeitung der SED- und Stasi-Vergangenheit der HfM nicht aus der HfM heraus, sondern von außen in die HfM getragen wurden! Keiner der Genannten als auch keine Vertreter der mit diesem Thema in der Vergangenheit befassten Personen und Institutionen wurde zur Podiumsdiskussion eingeladen. Gibt/gab es dafür Gründe?
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weiterführende Links:
· Zur realsozialistischen Totalitarismusverstrickung der Staatsoper Berlin
· H.Johannes Wallmann: Reiner-Kunze-Zyklus – Musik im Raum für Bariton und Kammerensemble (in Kooperation u.a. mit Deutschlandfunk und NDR)
· H.Johannes Wallmann: Jürgen-Fuchs-Zyklus – Musik im Raum für Sopran, Bariton und Kammerensemble (gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, in Kooperation u.a. mit MDR):
· H.Johannes Wallmann; Buch: "DIE WENDE GING SCHIEF oder warum Biografie mehr als nur eine rein persönliche Angelegenheit ist" Kulturverlag Kadmos (2009
· Susanne & H.Johannes Wallmann (Hrsg.): „Im Vis à vis alter und neuer Totalitarismen KUNST - EINE TOCHTER DER FREIHEIT? oder warum es einer Kultur-Reformation bedarf // Kulturverlag Kadmos Berlin (2017)
· H. Johannes Wallmann: INTEGRALE MODERNE - Vision und Philosophie der Zukunft | PFAU-Verlag, Saarbrücken 2006
Quellenangaben und Erläuterungen:
01 s.a. Jürgen Fuchs „Magdalena“ (Rowohlt 1999, S. 409-411) sowie Jürgen-Fuchs-Zyklus, Satz 17
02 Sammelband INTEGRAL-ART-FESTSPIELE; zu finden unter: integrale-moderne.de
03 s.a. H.Johannes Wallmann „DIE WENDE GING SCHIEF – oder warum Biografie mehr als nur eine persönliche Angelegenheit ist“ (Kadmos 2009, S. 9 ff.); s.a. Susanne & H.Johannes Wallmann „KUNST – EINE TOCHTER DER FREIHEIT – im Vis à vis alter und neuer Totalitarismen“ (Kadmos 2017, S.294/95)
04 Zitat aus meinem Jürgen-Fuchs-Zyklus, Satz 21: ich-schweige-nicht.de; eine Komposition, die mittels vertonter Texte von Jürgen Fuchs und Fakten der verbreiteten Verharmlosung des realsozialistischen Totalitarismus entgegentritt.
05 s. H.Johannes Wallmann „INTEGRALE MODERNE - Vision und Philosophie der Zukunft“ (Pfau-Verlag 2006, S.8)
06 vgl. Sebastian Haffner: »Das Gift der Kameradschaft«, in: DIE ZEIT vom 16.5.2002
07 meine Studentenakte (die ich mir 2008 aus Weimar kommen ließ) enthält solcherart Dokumente ebenso wie unser Privatarchiv
08 s. a. Zeugenaussage vom 29.8.2007 des ehem. 1. FDJ-Sekretärs der Franz-Liszt-Hochschule Weimar, Rüdiger Tietz; s.a. Brief von Lothar Bohmann vom 10.7.1974, ehem. 2. FDJ-Sekretär der HfM Weimar.; s.a. S. 354 ff. in Susanne & H.Johannes Wallmann „KUNST – EINE TOCHTER DER FREIHEIT“ (Kadmos 2017).
09 als Vertrauensstudent während der Studentenpfarrer-Vakanz 1972 leitete ich die ESG maßgeblich; s.a. Gutachten von Dr. Ehrhart Neubert vom 20.2.2008.
10 Chefdramaturg der Dresdner Philharmonie, Klaus Burmeister, im Programmheft 17./18. Mai 2003 über Wallmann und die „gruppe neue musik weimar: “Ein Ensemble, das sich bald einen Namen über die engen Stadtgrenzen hinaus machte und in den Musikzentren der DDR wegen seiner nonkonformistischen künstlerischen Haltung für Aufsehen sorgte.“
11 bis hin zum Hanns-Eisler-Preis des Rundfunks der DDR (1980); s.a. H.Johannes Wallmann „DIE WENDE GING SCHIEF“ (Kadmos 2009, S. 118 ff.)
12 Schreiben des Berliner Komponistenverbandes (Heinz Weitzendorf) vom 5.8.1986 an die Abt. Inneres / Rat des Stadtbezirkes Berlin-Pankow
13 s. a. H.Johannes Wallmann „DIE WENDE GING SCHIEF“ (Kadmos 2009, S. 61, 76, 96/97, 141-143)
14 Katalog und nähere Informationen zur BAUHÜTTE KLANGZEIT WUPPERTAL zu finden unter: integral-art.de
15 mein Brief vom 10.7.1993 an Wolfram Huschke
16 Artikel von Wolfram Huschke in Thüringer Landeszeitung vom 4.2.1980: „In Ruhe reifen“ / Rezension von Michael Berg in Thüringer Landeszeitung vom 11.4.1978: „Briefe zur Nacht, die ankamen“
17 s. Ulrich J. Blomann, Internationales kulturwissenschaftliches Symposium März 2013, Hambacher Schloss; vgl. Susanne & H.Johannes Wallmann „KUNST – EINE TOCHER DER FREIHEIT“ (Kadmos 2017, S. 277, 352)
18 „Allgemein bekannt ist, dass die SED nach der Wende erhebliche Geldsummen beiseite schaffte. Die Schauspielerin Katrin Sass hatte deshalb Recht, als sie 2016 – im Umfeld der Grimme-Preisverleihung für die Fernseh-Serie »Weissensee« – Gregor Gysi öffentlich aufforderte, die SED-Millionen herauszurücken. Auch hatte sie beobachtet, »dass sich viele linientreue Kollegen und Politiker aus der ehemaligen DDR nachträglich als Regimegegner stilisieren.«252 Da nach der Deutschen Einheit zahlreiche realsozialistische Parteigänger im Kulturbereich und der Neuen Musik wichtige Entscheiderpositionen einnahmen, besteht hinsichtlich dieser SED-Millionen eine nicht unwichtige Frage darin ...“ (weiteres in: Susanne & H.Johannes Wallmann „KUNST – EINE TOCHER DER FREIHEIT“ (Kadmos 2017, S. 273))
19a Wolfram Huschke „Zukunft Musik. Eine Geschichte der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar“ (Böhlau 2006). Dazu nahm ich in der Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat der FU Berlin (Nr. 35-2014) ausführlich Stellung. … Die Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert, äußerte sich zu Huschkes Buch folgendermaßen: „Die Musikhochschule glaubt, daß ihre Vergangenheit in der DDR zur Genüge aufgearbeitet sei, vor allem durch das Werk von Prof. Dr. Wolfram Huschke [...] Bemerkenswert ist, daß für das gesamte Werk offenbar nicht eine einzige Stasi-Akte angesehen und verwendet wurde. Dadurch werden die tatsächlich anders Handelnden vollkommen ignoriert und die Zersetzungsmethoden der Staatssicherheit, an denen zweifellos Hochschulpersonal beteiligt war, kommen überhaupt nicht in den Blick, weil sie in den Unterlagen der Hochschule selbstverständlich verschleiert wurden. Auch die Frage der Zusammenarbeit von Hochschulmitarbeitern mit der Staatssicherheit wird nicht thematisiert. Insofern ist das ein wirklich bemerkenswertes Werk, weil sonst kein ernstzunehmender Historiker es wagen würde, ernsthaft die DDR-Geschichte einer großen Institution ohne Stasi-Akten beschreiben zu wollen. Eine Ausarbeitung über den Einfluß des MfS auf die Weimarer Musikhochschule steht also noch aus." (eMail vom 2.5.2013 an Chefredakteur Raue der Thüringer Allgemeine)
19b Susanne & H.Johannes Wallmann „KUNST – EINE TOCHTER DER FREIHEIT“ (Kadmos 2017, S.344-347 und S. 302-306)
20a in: Österreichische Musikzeitung 71/03/2016: Roland Mey „Kurt Masur – Dirigent und Revolutionär?“
20b in DIE ZEIT Nr. 52/2015: Zum Tod des Dirigenten Kurt Masur: Ein großer Kämpfer – Ein Nachruf von Peter Gülke
21 Prof. Thomas Schipperges „Die Akte Heinrich Besseler“ (Referat am 20.11.2015 während des Jürgen-Fuchs-Symposiums), s.a. Susanne & H.Johannes Wallmann „KUNST – EINE TOCHER DER FREIHEIT“ (Kadmos 2017, S.287)
22 Jochen Staadt: „Wohltemperierte Erzählungen über die DDR“, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat der FU Berlin 33/2013, S.125 ff.
23 Schreiben des Intendanten der Staatsoper Berlin, Matthias Schulz, vom 4.7.2019
24 „Freiheit schöner Götterfunken - Gedenkkonzert zur Friedlichen Revolution mit der Philharmonie Leipzig in der Peterskirche“ mit Festredner Gregor Gysi in: Leipziger Volkszeitung vom 23.05.2019 / Protestschreiben „Fake News zur Friedlichen Revolution?“ vom 30. Juni 2019, unterzeichnet u.a. von Wolf Biermann. Interessant die Konstellation „SED(Gysi)-Klassische Musik-Kirche“.
25 Es ist eher unwahrscheinlich, dass diese Stellungnahme von Hans-Peter Hoffmann ohne Rücksprache mit Wolfram Huschke (2006 erschien sein o.g. genanntes Buch, s. Anm.19) sowie anderen leitenden Hochschulangehörigen im Bereich der Musikwissenschaft verfasst wurde.
26 s.a. ausführlicher Kommentar von Prof. em. Dr. Gottfried Meinhold; einzusehen unter integral-art.de
27 meine erste Kontaktaufnahme mit Prof. Stölzl erfolgte per Email am 14.10.2010 (u.a. Einladung zur Uraufführung meiner Raumklang-Kompositionen SOLO-UNIVERS 1-5 am 28.10.2010 im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie/Kooperation mit Deutschlandfunk)
28 Schreiben von Prof. Stölzl vom 8.12.2011 / 12.3./10.12.2012 / 3.9.2013 (s.a. Anm. 33) / 6.11.2018; meine Schreiben vom 29.11.2011 / 4.1./24.3./4.12.2012 / 27.5.2013 / 4.1.2016 / 12.10./25.11. 2018 oder s.a.: TA-Internet-Ausgabe vom 15.11. 2012/ TA-Print-Ausgabe vom 30.11.2012, TLZ vom 20.1. / 16.2. 2016 / Gespräch am 26.4.2012
29 mein Schreiben vom 19.1. 2016 (s.a. TLZ vom 20.1.2016 und 16.2.2016); Erneuerung der Rücktrittsforderung mit meinem Schreiben vom 12.10.2018
30 Mitteilung von Prof. Meinhold, zugesendet per Email 27.5.2019
31 s.a. Günter Knoblauch/Roland Mey: „Defekte eine Hochschulchronik. Die Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar – eine Aufarbeitung“ (Mitteldeutscher Verlag 2018) sowie S. 366, 370 in Susanne & H.Johannes Wallmann: „KUNST – EINE TOCHTER DER FREIHEIT?“ (Kadmos 2017); vgl. Anm.08
32 vgl. „Jürgen-Fuchs-Zyklus“ von H.Johannes Wallmann, Sätze 5, 11, 17, 20 (ich-schweige-nicht.de)
33 Schreiben von Prof. Stölzl vom 3.9.2013 / Schreiben der Reha-Behörde vom 5.11.2013; in beiden Schreiben wird die Herausgabe dieses Dokuments verweigert und jeweils auf die andere Institution verwiesen.
39 Schreiben von Prof. Stölzl vom 12.2.2019 / mein Antwort-Schreiben vom 21.2.2019 an Prof. Stölzl
40 unter Mitarbeit von Susanne Wallmann