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Zukunft Musik

"Eine Geschichte der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar" von Wolfram Huschke - eine Entgegnung von H. Johannes Wallmann in der Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin: Nr.35-2014

"ZUKUNFT MUSIK

Eine Geschichte der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar" von  Wolfram Huschke (Böhlau-Verlag 2006)

eine Entgegnung von H. Johannes Wallmann


Während ich an meinem Jürgen-Fuchs-Zyklus ICH SCHWEIGE NICHT arbeitete, las ich unter anderem Wolfram Huschkes Zukunft Musik. Eine Geschichte der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Als junger Mann hatte ich Huschke als sympathischen Menschen erlebt. In einem ganzseitigen Artikel in der Thüringischen Landeszeitung (TLZ) vom 2. Februar 1980 brachte er mir und meiner Arbeit als Komponist hohe Wertschätzung entgegen. In diesem Artikel schrieb er über mich: ,,Von ihm, so glaube ich, werden wir Meisterwerke erwarten können. An Substanz und origineller Ausdrucksweise sind sie schon heute außerordentlich reich. [...] Mir hat an Wallmanns Werken und im Gespräch mit ihm dies gefallen: die unbequeme Suche nach neuen Identifikationen, das Bemühen, weder in Klischees noch in Gags zu verfallen, sondern gut zu arbeiten, die unbedingte Ernsthaftigkeit und selbstbewusste Bescheidenheit. Er hat musikalisch etwas zu sagen. Hören wir hin!"

Dieser Artikel hat mir damals sehr geholfen,

doch gehörte er auch zum Versuch einer politisch-ideologischen Vereinnahmungskampagne meiner Musik und Person. Der damalige Präsident des DDR-Komponistenverbandes, Prof. Dr. Ernst-Hermann Meyer, soll im Vorfeld der Vergabe des Hanns-Eisler-Preises über mich als Komponist geurteilt haben: ,,Um den kommen wir nicht herum." So wurde mir (nach der trotz Bestnoten 1973 erfolgten Relegierung vom Kompositionsstudium sowie dem von der Weimarer Hochschule an mir l974 begangenen Diplombetrug) nun zu Beginn der 1980er Jahre ein volles Umarmungsprogramm zuteil: Dieser Artikel in der TLZ, ein Meisterschülerstipendium an der Ost-Berliner Akademie der Künste bei Friedrich Goldmann und eben auch der Hanns-Eisler-Preis für meine „Stadien - für Orchester und Klavier“, die 1980 durch das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig zur Uraufführung gelangten. (Den Preis erhielt ich übrigens, obwohl ich mich nicht um ihn beworben hatte.) Ich durchschaute die ganze Vereinnahmungskampagne erst 1982 und vermochte sie auch erst dann bewußt abzuwehren.

Selbst dann, wenn Wolfram Huschke zu dem obengenannten TLZ-Artikel beauftragt gewesen sein sollte, war er von ihm - so zumindest mein Eindruck - nicht unehrlich geschrieben. Daher war ich bisher bereit, ihm gegenüber eine gewisse Nachsicht walten zu lassen. 

Nun habe ich allerdings sein Buch „Zukunft Musik“ gelesen, über das Hildigund Neubert, die Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen,

am 2. Mai 2013 auf Nachfrage von Josef Raue, dem Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, urteilte: ,,Die Musikhochschule glaubt, daß ihre Vergangenheit in der DDR zur Genüge aufgearbeitet sei, vor allem durch das Werk von Prof. Dr. Wolfram Huschke, Zukunft Musik. Eine Geschichte der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. [...] Bemerkenswert ist, daß für das gesamte Werk offenbar nicht eine einzige Stasiakte angesehen und verwendet wurde. Dadurch werden die tatsächlich anders Handelnden vollkommen ignoriert und die Zersetzungsmethoden der Staatssicherheit, an denen zweifellos Hochschulpersonal beteiligt war, kommen überhaupt nicht in den Blick, weil sie in den Unterlagen der Hochschule selbstverständlich verschleiert wurden. Auch die Frage der Zusammenarbeit von Hochschulmitarbeitem mit der Staatssicherheit wird nicht thematisiert. Insofern ist das ein wirklich bemerkenswertes Werk, weil sonst kein ernstzunehmender Historiker es wagen würde, ernsthaft die DDR-Geschichte einer großen Institution ohne Stasi-Akten beschreiben zu wollen. Eine Ausarbeitung über den Einfluß des MfS auf die Weimarer Musikhochschule steht also noch aus."

Über dieses für einen Historiker eigentlich vemichtende Urteil hinaus gibt es eine ganze Reihe weiterer Gründe, Wolfram Huschkes mitunter durchaus flüssig geschriebenes Buch als ein geschicktes Verschleierungsmanöver einzuschätzen. Wie ernst meinte er es zum Beispiel mit dem Titel Zukunft Musik? Dazu zunächst einige grundsätzliche Überlegungen: Musik kann als die universellste der Künste gelten. Wie kaum eine andere vermag sie Grenzen von Sprach- und Kulturräumen unmittelbar zu überwinden. 

Gerade weil sie - wie die großen Komponisten es mit ihren Werken beweisen -
sich dem Universellen in besonderem Maße zu nähern vermag, hat Musik auch
eine ganz besondere Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit,

die für die Zukunft von Musik selbst - aber auch für die Zukunft von Kultur überhaupt - von entscheidender Bedeutung ist. Komponisten, die das erkannt haben und es mit ihrem Beruf ernst meinen, sollte es im Grunde generell zuwider sein, mit ihrem Werk und ihrer Person einer Diktatur zu dienen, die - wie im Nationalsozialismus und im Realsozialismus geschehen - Musik zur kulturellen Bemäntelung ihres Herrschaftssystems und ihrer Verbrechen mißbraucht. Das Ringen um Wahrhaftigkeit (das ohne hervorragendes kompositorisches Handwerk nicht gelingen kann, aber weit darüber hinausgeht) kann als eine der entscheidenden Voraussetzungen dafür gelten, daß sich Komponisten dem musikalisch Universellen überhaupt zu nähern vermögen. Erst auf dieser Grundlage. können zukunftstragfähige musikalische,,Meisterwerke" entstehen. Diese Verantwortungsebene unterscheidet Komponisten grundlegend von jener der Interpreten oder der der Musikwissenschaftler. Denn während - in Anlehnung an Stéphane Mallarmé - Komponisten als Architekten musikalischer Intelligenzenergien sowie entsprechend geistig-musikalischer Substanz verstanden werden können, haben Interpreten quasi den Part der,,Bauausführung" inne, spielen die Musikveranstalter die Rolle der ,,Bauherren", kommt den Musikwissenschaftlern die sorgfältige Reflektion von allem zu, was Musik ausmacht. Für die Entwicklung einer modernen Musikkultur gilt jedoch insgesamt, daß sich ihre Zukunft nur so gut gestalten läßt, wie ihre Vergangenheit aufgearbeitet ist. Und das betrifft Komponisten, Interpreten, Musikveranstalter, Musikwissenschaftler und Musikjournalisten gleichermaßen. Ähnlich wie hinsichtlich des Nationalsozialismus blieb die Musikkultur des wiedervereinten Deutschlands die Aufarbeitung von 40 Jahren Realsozialismus bisher jedoch schuldig. So wiederholen sich die alten Fehler immer und immer wieder wie von selbst, wodurch die gesellschaftliche Wertschätzung von ,,ernster" Musik massiv untergraben wird.

Um aus der Aufarbeitung der Vergangenheit für die Zukunft Gewinn ziehen zu können,
ist es enorm wichtig, sich an den "harten" Fakten, Dokumenten und Erinnerungen 
von Zeitzeugen zu orientieren,

anstatt sich, wie von Wolfram Huschke praktiziert, in allgemeine Feststellungen zu flüchten. Daß die SED Musik nicht nur zur Bemäntelung ihrer Diktatur, sondern auch zur Ideologieproduktion zu mißbrauchen suchte, und wie schwer daher der Stand von Komponisten war (sofem sie nicht bei der Kirche angestellt gewesen sind), die sich dem totalitären Herrschaftsanspruch der SED nicht unterwarfen, ist für Wolfram Huschke bestenfalls eine Marginalie. Auch damit, daß er zum Beispiel die ,,Formalismusdebatte" im Zusammenhang mit dem Konzertstück fir Klavier und Orchester von Johann Cilenček erwähnt, legt er eine falsche Fährte. Cilenček war bis 1945 ein glühender Verehrer Hitlers (so berichtet es einer seiner Schüler) und trat danach unmittelbar der KPD und dann der SED bei. (Es lassen sich daran einmal mehr die Personalverflechtungen zwischen den beiden totalitären Systemen erkennen!) Auch wenn Cilenček in dem obengenannten Werk durchaus avanciertere kompositorische Mittel eingesetzt hatte als in seinen vorangegangenen Werken, blieb er stets SED-parteitreu und zudem erpreßbar, da er seine NSDAP-Mitgliedschaft verheimlicht hatte. Wenn Huschke die Formalismusdebatte - eine in der DDR ideologisch besonders kontroverse Frage- und Problemstellung - mit Cilenček verbindet, vemebelt er außer den personellen auch die machtpolitischen Konstellationen der SED-Diktatur an dieser Hochschule. Zugleich wird damit der Formalismusdebatte oder der Ausgrenzung von als ,,spätbürgerlich-dekadent" bezeichneten Studenten (was mir in der Weimarer Hochschule als Student widerfuhr) Drastik und Schärfe genommen. Doch lag in solchen Fragen damals für jeden einzelnen Komponisten und Kompositionsstudenten das große Konfliktpotential, denn es betraf die Frage nach dem beruflichen Ethos, der eigenen Wahrhaftigkeit und gedanklichen Freiheit, aber auch der beruflichen Entwicklung in der DDR. Betreffs der Weimarer Hochschule sei an dieser Stelle beispielsweise an die Auseinandersetzungen zur sogenannten Konvergenztheorie oder die Diskussionen um Schönberg und Webern, aber auch an Veranstaltungen zu Partei- und Jahrestagen erinnert, auf denen sich Leute wie Cilenček stets eindeutig parteitreu positionierten. Bezeichnend wiederum, daß Huschke in diesen Fragen nicht konkret wird und damit bezüglich des Realsozialismus genau das vermeidet, was er in seinem Vorwort ankündigte: Aufzuzeigen, wie ,,Ideen und individuelle Leistungen mit Umfeldrealitäten kollidieren".

Huschke trifft allerdings eine interessante und zutreffende Unterscheidung, nämlich die zwischen Andersdenkenden und Andershandelnden. Er stellt fest: 

"Andersdenkende gab es viele. Andershandelnde wenige."

Um jedoch wiederum nicht konkret werden zu müssen, ließ er nicht nur die Stasi-Unterlagen außen vor, sondern ignorierte kurzerhand auch die wenigen vorhandenen Hochschulakten der wenigen Andershandelnden. Und dies obwohl er in seinem Buch mehrfach darauf hinweist, daß es nach der Wende an dieser Hochschule umfangreiche Aktenvernichtungen gab. Wenn es ihm ernsthaft.um wissenschaftliche Arbeit gegangen wäre, hätten vorhandene Akten für ihn somit eine begehrenswerte Rarität sein müssen. Denn mit ihrer Hilfe hätte er fundiert Einblick geben können, wie die SED-Diktritur an dieser Musikhochschule konkret funktionierte. Es wäre dann allerdings nicht nur um das Abspielen von Haydns Kaiserquartett, um andere Aufsässigkeiten oder um Ge-Wi-Unterricht und Zivilausbildung gegangen, sondern darum, wie unter den sehr schwierigen Bedingungen der SED-Diktatur um Wahrhaftigkeit und um die Zukunft von Musik gerungen wurde. Ich denke hier beispielsweise an meinen verehrten Kompositionslehrer Günter Lampe, der mich jenseits der realsozialistischen Musikdoktrin (und unter dem Siegel der Verschwiegenheit) über Arnold Schönbergs Zwölftonmethode an die großen Fragen der Musik der Modeme heranführte. In Huschkes Personenregister kommt Günter Lampe nicht ein einziges Mal vor. Ein anderes Fallbeispiel wäre auch Gerhard Mey, mein späterer Klavierlehrer, dem ich viel verdanke und dem von der SED-Macht alle Möglichkeiten genommen wurden, Konzerteinladungen nach Westdeutschland anzunehmen und damit eine gesamtdeutsche Karriere aufbauen zu können.

Durch den Kompositionsunterricht bei Günter Lampe, mein Engagement in der Evangelischen Studentengemeinde oder zum Beispiel meine Reiner-Kunze-Lieder (1972) bin auch ich selbst damals einer der wenigen Andershandelnden dieser Hochschule gewesen. Wie bereits erwähnt, führte das unter anderem dazu, daß ich mein Kompositionsstudium vorzeitig abbrechen mußte und außerdem um mein Diplom betrogen wurde, das bereits ausgestellt worden war. Eine übliche Methode der SED-Diktatur gegenüber oppositionellen Studenten, die auch bei Wolf Biermann und Jürgen Fuchs zur Anwendung kam. In meinem Buch „Die Wende ging schief“ habe ich darüber genauer berichtet. Es gibt zu dieser Frage außerdem im Jahr 2012 mehrere ausführliche Artikel in den beiden namhaften Thüringer Zeitungen. sowie seit 2010 einen aufschlußreichen Schrift- wechsel zwischen der Hochschule und mir. Auch will es der Zufall, daß wesentliche Teile meiner Weimarer Studentenakte vorhanden und sehr aufschlußreich sind. Sogar die Kopie meiner Diplomurkunde ist darin enthalten. Heute könnte ein solcher Fund eigentlich eine Trophäe sein - ein Beweis gelebter Freiheit der Kunst. Doch die Weimarer Hochschule sieht es offenbar als Schandfleck und drückt sich darum, sich zu ihrem einst begangenen Betrug zu bekennen und damit ihre eigene Verstricktheit in die SED-Diktatur aufzuarbeiten. Daher denkt sie gar nicht daran, diese Akten überhaupt richtig lesen zu wollen und behauptet, sie ,,gäben nichts her". Dieser Hochschule müssen die Fakten offenbar erst um die Ohren fliegen, bevor sie aufwacht. Auch Wolfram Huschke hat meinen Fall nicht einfach nur vergessen, sondern ganz bewußt ausgeblendet. Denn daß er mit mir auch noch nach der Wende persönlich Kontakt hatte und über die damit verbundene hochschulpolitische Drastik informiert war, belegt ein weiterer interessanter Schriftwechsel (1992-1995) zwischen ihm bzw. der Hochschule und mir. Anstatt also die zukunftsrelevanten Fragen nach dem Universellen und der Wahrhaftigkeit von Musik aufzuwerfen (die im Realsozialismus kaum weniger scharf lagen als im Nationalsozialismus) und die Hochschule mit diesen Fragen zu konfrontieren, flüchtet Huschke sich wiederum in DDR-kritische Allgemeinheiten, etwa zum Stichwort ,,Pfarrerskinder". Somit hinterläßt sein Buch für mich einen sehr schlechten Geruch. Erstrecht angesichts des hohen Anspruches, mit dem er es durch Titel und Vorwort versah.

Die vielen Blumen auf dem schön geschmückten Grab, 

das Wolfram Huschke damit der Zukunft von Musik an der Weimarer Hochschule schrieb, können diesen Geruch nicht übertören. Zumal das Spiel mit der Veröffentlichung von Wolfram Huschkes Buch keineswegs zu Ende war. Es fand Fortsetzung in einer Stellungnahme der Franz-Liszt- Hochschule vom 4. Mai 2006 an die Thüringer Reha-Behörde, bei der ich einen Antrag auf Rehabilitation von SED-Unrecht gestellt hatte. Die Stellungnahme der Franz-Liszt- Hochschule, unterzeichnet von Hans Peter Hoffmann (von der SED zuletzt als Direktor für Studienangelegenheiten der Hochschule eingesetzt), strotzt geradezu von Falschdarstellungen und Fehlinterpretationen (wozu sich ein weiterer Text detailliert äußern wird). Doch da das Jahr der Veröffentlichung von Huschkes Buch identisch mit dem Jahr dieser Stellungnahme ist (2006), war Wolfram Huschke damals in diesen Fragen zweifellos der Experte dieser Hochschule. Sollte allerdings sein Rat für die Stellungnahme der Hochschule nicht eingeholt worden sein, schlüge das dem Faß den Boden aus. Wenn es jedoch tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Huschke und der Stellungnahme der Hochschule gegeben hat, zeigt dies einmal mehr, daß die DDR-kritischen Stellen seines Buches lediglich der Verschleierung dienen. Wenn sie noch nicht einmal als Bewertungsansatz für eine konkrete hochschulinteme Aktenlage Gültigkeit haben, dann haben sie keinerlei Gültigkeit, sondern hatten - wie schon an der lgnorierung der Stasi-Unterlagen erkennbar - 

offensichtlich lediglich der Klitterung der DDR- Musikgeschichte zu dienen.

Nachdem 2010 der jetzige Präsident der Hochschule, Prof. Dr. Christoph Stö1z1, sein Amt angetreten hatte, wandte ich mich unmittelbar an ihn und lud ihn zunächst für Ende Oktober 2010 zur Uraufführung meiner fünf neuen Konzerte für Solisten und Orchester (SOLO-UNIVERS 1-5) in den Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie ein. Sie fand in Kooperation mit dem Deutschlandfunk, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und Solisten aus Spitzenklasse-Orchestern statt. Ich hatte die Hoffnung, ihn, den Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums und ehemaligen Berliner Kultursenator, dafür gewinnen zu können, Licht in das Dunkel der Verstrickungen der Weimarer Hochschule in die SED-Diktatur zu bringen. Aber weit gefehlt. Weder nahm er meine Einladung an, noch erkannte er die Dimension des Problems. Sofern er sie doch erkannt haben sollte, schlug er sich unmittelbar auf die Seite der Ehemaligen. Mit Schreiben vom 12. März 2012 teilte er mir mit: ,,Durch Ihr Studium und Ihr Examen an der Hochschule für Musik ,Franz List' Weimar haben Sie nachweislich die notwendigen Startchancen erhalten, um sowohl als Instrumentalmusiker wie als Komponist innerhalb der DDR Wirkungsmöglichkeiten zu erhalten, die als zeittypisch und normal bezeichnet werden kömen." Erst nachdem die Thüringer Allgemeine am 15. November 2012 zu diesem Themenfeld über mich einen ganzseitigen Artikel veröffentlicht hatte, kam etwas Bewegung in die Angelegenheit.Die Thüringer Allgemeine lud zum 28. November 2012 zu einer kurzfristig anberaumten Rundtischdiskussion in die Weimarer Hochschule ein. Ich erhielt von mehreren Seiten jedoch den Rat, dieser Einladung nicht zu folgen, da zu befürchten sei, daß ich dort von der Hochschule lediglich vorgeführt werden würde. Angesichts der obengenannten Stellungnahme von 2006 sowie des in der Thüringer Allgemeinen am 2l. November 2012 abgedruckten (von weitgehender Uninformiertheit zeugenden) Gastbeitrages des Weimarer Musikwissenschaftsprofessors Albrecht von Massow hatte ich einen Vorgeschmack auf den wahrscheinlichen Ablauf der Veranstaltung bekommen. So gingen bei mir die ,,roten Lämpchen" an, und daher folgte ich diesem Rat und nicht dieser Einladung. Zumal keine Personen eingeladen worden waren, die meine Position unterstützt hätten. Das aber war meine Bedingung, damit die ganze Angelegenheit - und somit auch die Aufarbeitung der SED-Diktatur im Bereich der Musik überhaupt - nicht mit einer schnellen Handbewegung vom Tisch gewischt werden konnte. Deshalb habe ich damals vorgeschlagen, eine etwas genauer vorbereitete Veranstaltung zu organisieren und die kontroversen Fragestellungen und Argumentationsstränge mit entsprechenden Personen zu untersetzen. Aber daran hat die Hochschule bis heute kein Interesse, was die Richtigkeit meiner damaligen Absage belegt. Im langfristigen Interesse einer Hochschule kann es allerdings kaum liegen, einen der wenigen andershandelnden Zeitzeugen einer Studentengeneration mundtot zu machen. Durchaus aber im kurzsichtigen Interesse bestimmter Funktionsträger, die ihre (und ihrer Kollegen) Verstricktheiten in die SED-Ideologie kaschieren wollen.

Erst recht wenn Musik als universelle Intelligenz-Energie - und somit in Relation von Wahrhaftigkeit und Freiheit - gedacht wird, 

ist solche Kaschierung für die Zukunft von Musik ein sehr ernstzunehmendes Problem und nicht hinnehmbar. Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg wurde massiv verdrängt, daß zahlreiche Komponisten, Interpreten und sonstige Musikverantwortliche ihre Leistungen dem Nationalsozialismus zur Verfügung gestellt hatten. Gleiches trifft auch auf den Realsozialismus zu. Allerdings mit dem Unterschied, daß der Realsozialismus nicht zwölf, sondem 40 Jahre andauerte, und auch von vielen ,,Wessis" - nicht nur ehemalige DKP-Genossen, sondem auch sonstige DDR-Sympathisanten - noch bis heute als eine moderate Angelegenheit betrachtet wird. Diese moderate Angelegenheit hatte es jedoch in sich: ca. 70 Millionen Tote durch Mao zu Friedenszeiten, 29 bis 46 Millionen Tote in den sowjetischen GULAGs, ein bis zwei Millionen bestialisch Erschlagene in Kambodscha, ungezählte Tote im Horror nordkoreanischer KZs, ungezählte mittels Zersetzung gebrochene Biographien durch das MfS der DDR. ,,Auschwitz der Seelen" nannte es Jürgen Fuchs. Am westlichen Außenrand des realsozialistischen Herrschaftsgebietes gelegen, wurden in der DDR die ,,Klassenfeinde" nach den 50er Jahren nicht mehr in GULAGs abtransportiert, sondern mittels perfider Zersetzungsmethoden ,,unschädlich" gemacht (die - so ein Forschungsskript im MfS-Auftrag der Humboldt-Universität Berlin mit Abschlußbericht vom 5.10. 1987 - bis hin zu Gift und radioaktiver Verstrahlung reichen konnten). Das war kaum nachweisbar, hatte aber hohen Wirkungsgrad.

Wolfram Huschke - nach der Wende einer der Rektoren der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar - hätte sich mit seinem Buch als Musikwissenschaftler und Historiker profilieren, den Blick auf die Vergangenheit öffnen und die Verstrickungen der Hochschule in das SED-Unrechtssystem offenlegen können, was jedoch an seinen fatalen Fehlern scheitert. Die von ihm im Vorwort getroffene Ankündigung, unterschiedliche Positionen klar zu verdeutlichen und aufzuzeigen wie auch ,,Ideen und individuelle Leistungen mit Umfeldrealitäten kollidieren", hat er bezüglich der realsozialistischen Periode dieser Hochschule nicht eingelöst. 

Indem er darüber hinaus nicht auf "die besten", sondern auf die "tonangebenden" Köpfe setzte 

(siehe auch sein Vorwort) und diese zum Maßstab machte, schredderte er gleichsam wesentliche Grundlagen der Zukunft von Musik. Aus dem eingangs beschriebenen Grund tut es mir irgendwie leid, dies so feststellen zu müssen. Vielleicht war er sich (gemeinsam mit seinen Kollegen, auch den wohl kaum ganz ahnungslosen - aus dem Westen) etwas zu sicher, daß die Vernetzung, Interessenlage und Machtfülle der entsprechenden Musikexperten die ,,tonangebenden" Verschleierungsaktionen seiner,,Geschichte" umfassend decken würden. So kommt zu fatalen Fehlern ein fataler Irrtum. Die Glaubwürdigkeit seines Buches ist somit bedauerlicherweise gleich doppelt zur Disposition gestellt. ,,Abdrücke in der Seele sind nicht beweisbar, man kann nur mit seiner Person für sie einstehen" - so heißt es in meinem Reiner-Kunze-Zyklus DER BLAUE VOGEL (2009). Was also bleibt jemandem, der solche Gedanken in Töne setzt, anderes übrig, als selbst mit seiner Person einzustehen und angesichts solch wesentlicher Fehler nicht zu schweigen? Es ist eine Frage der Wahrhaftigkeit. Denn werden Fehler nicht als solche erkannt, setzen sie ihr Unwesen fort und verunstalten die Zukunft. Was Musik angeht, so würde sie zunehmend von dem Ringen um Wahrhaftigkeit getrennt und quasi zur Hure degradiert. Ein Desaster für unsere Kultur, in dem künftige Künstler-, Komponisten- und Musikergenerationen zu versinken drohen. Wenn jene, die das Huren-Spiel nicht mitspiel(t)en, sich widerspruchslos aus dem kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft eliminieren lassen, sind sie für dieses Desaster mitverantwortlich. Dann wäre aber auch ihr gesamter persönlicher Einsatz umsonst gewesen. Hinsichtlich dessen ist es mir sehr wichtig, klarzustellen, daß es sich bei der Auseinandersetzung um die Aufarbeitung der SED-Diktatur im Bereich der (Neuen) Musik nicht um ein persönliches Problem von H. Johannes Wallmann handelt, sondern vielmehr 

um die Frage der Zukunft von Musik überhaupt. 

Da Wolfram Huschke diese Frage in besonderer Weise in Anspruch nahm, kann man eigentlich nur hoffen, daß sein Buch irgendwann zu einem Problem der Hochschule für Musik "Franz Liszt" Weimar selbst wird und damit zu entsprechenden Diskussionen beiträgt, in deren Folge sich vielleicht sogar Türen zu einer kulturellen Reformation öffnen. Ich denke, daß ohne eine tiefgehende kulturelle Reformation weder unsere Kultur noch unsere Demokratie zukunftsfähig ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß es im Deutschen Komponistenverband 2013 eine brisante Debatte darüber gab, daß Komponisten ihre Leistungen dem Nationalsozialismus zur Verfügung gestellt hatten. Dazu positionierte sich unter anderem der obengenannte Weimarer Professor Albrecht von Massow. Eine entsprechend ernsthafte Debatte über Komponisten, Interpreten, Musikwissenschaftler und anderweitige Musikverantwortliche, die ihre Leistungen dem Realsozialismus zur Verfügung gestellt hatten, wurde bisher allerdings mit Macht vermieden, diverse Verschleierungsmanöver traten an ihre Stelle. Um der Zukunft von Musik willen würde es mich freuen, wenn dieser Text dazu beitragen könnte, diese längst überfüllige Debatte in Gang zu bringen.

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