Architekturen der Zukunft
– die Stadt als Kunstraum
(s.a. bauhütte klangzeit wuppertal)
Allgemeine Vorbemerkungen
Architektur ist gebauter Intelligenztransfer und ein wichtiges Portal
zum Diskurs der geistig-kulturellen Wertvorstellungen. Als konkret
gebautes Struktursystem und als Ausdruck unseres nach aussen
erweiterten kulturellen Bewusstseins ist sie die öffentlichste aller
Künste. Ihr Wert misst sich daher an der Qualität der mit ihr
verknüpften geistig-kulturellen Dimensionen, durch die sie über sich
selbst hinausweist.
Unter diesen Blickwinkeln ist auch die Frage nach der Definition des
Raumes neu zu stellen. Es ist die Frage, woraus Raum sich grundsätzlich
konstituiert. Um eine Antwort zu finden, knüpfen wir an Überlegungen
aus der Chaostheorie an und stellen fest: Alles ist dynamischer Prozess, auch Steine, Menschen, Galaxien und Räume. Alle dynamischen Prozesse können sich verändern, verlaufen in ihrer jeweiligen (Eigen)Zeit und greifen dabei Raum ... Räume entstehen prinzipiell aus
den Schnittpunkten unterschiedlicher
dynamischer Prozesse. Deshalb gibt es recht
unterschiedliche Räume: Denk- und Empfindungsräume, Natur-,
Stadt- und Landschaftsräume.
Auch Politik und Wirtschaft, Philosophie,
Religion, Musik oder Malerei entwickeln in sich selbst relativ
eigenständige "Räume". Um zu vermeiden, dass die Räume sich gegenseitig
ausgrenzen, ignorieren, nivellieren oder zerstören, bedarf es ihres Zusammenwirkens zu einer integralen vieldimensionalen
Raumstruktur.
Worin besteht die integrale Qualität einer solchen Raumstruktur? Integral bedeutet: Ein Ganzes ausmachend, auf ein Ganzes bezogen. Zudem basiert integrale Qualität auf der Wahrnehmung
der von Buckminster Fuller thematisierten Frage nach der
Integralfunktion des Menschen im Universum. Als Kerngedanke der
Integralfunktion kann die Weitergabe und Unterstützung von
integraler Intelligenz und organismischen Lebensformen im Universum gelten. Nur dann wenn es der modernen Menschheit zumindest hier auf der Erde gelänge, die Integralfunktion zu realisieren, hätte sie ihre kosmische Funktion erfüllt und wäre "kosmisch nicht bankrott" (Buckminster Fuller).
Die Intelligenz des Menschen bleibt jedoch solange ungenügend
entwickelt, wie sie allein rational orientiert ist. Erst durch eine gegenseitige Ergänzung der rational und
emotional operierenden Gehirnhemisphären kann sie ihre
volle Potenz erreichen. Auch die kulturelle
Kommunikation ist nur so zukunftstragfähig, wie sie auf die volle Entfaltung der menschlichen Intelligenz hinwirkt und damit die Spaltung
von Rationalem und Emotionalem überwindet. Die volle
(integrale) Entfaltung unserer
geistigen Potenzen bildet zugleich die Voraussetzung, die Weitergabe und Unterstützung von
integraler Intelligenz und organismischen Lebensformen zu erreichen und die unterschiedlichen Räume, Schnittpunkte und dynamischen
Prozesse des Lebens in kompatible und organismisch verträgliche
Relationen zu bringen.
In Architektur kann prinzipiell die Aufgabe gesehen werden, dynamischen Prozessen und
ihren Schnittpunkten eine bestimmte bauliche Struktur zu
geben. Dazu muss sie nicht nur die zu einem jeweiligen Bau gehörenden
dynamischen Prozesse und Schnittpunkte definieren, sondern – und das
ist wohl selbstverständlich - auch nach Formen und Strukturen fragen,
mit denen eine effektive Umsetzung dieser dynamischen Prozesse
gewährleistet werden kann. Wenn die Hauptfunktion von Architektur darin zu sehen ist, als
gebautes Struktursystem unseres nach aussen erweiterten kulturellen
Bewusstseins zu fungieren, sind die einzelnen Bauten als dessen
Unterfunktionen zu verstehen. Dies bedeutet, die effektive
architektonische Umsetzung der dynamischen Prozesse nicht auf die
Gewährleistung der profanen Funktionen zu beschränken, sondern sie
grundsätzlich der Aufrechterhaltung und Erweiterung der allgemeinen
kulturellen Kommunikation zu verbinden. Für eine
moderne zukunftstragfähige Architektur bedeutet dies nicht weniger, als
von einer profan funktionalen Gestaltung zu einer kulturellen Qualität
voranzukommen. Dies wäre ein Schritt weg vom Oberflächendesign
hin zu Architekturformen, die als Interfaces zwischen Innen- und
Aussenräumen kulturelle Qualitäten erreichen (ökologische Qualitäten selbstverständlich einbeziehend und vorausgesetzt!).
Würden Architektur und Städtebau stattdessen weiterhin vor allem als kommerziell zu
designende Benutzeroberfläche verstanden, hätte das für die
Entwicklung der Gesellschaft auf Dauer fatale Folgen. Dem Gemeinwesen würde eine
wichtige Grundlage der öffentlichen kulturellen Kommunikation entzogen, wodurch sein sukzessiver Zerfall besiegelt würde. Deshalb gilt es die
Städte wieder als kulturelle Zentren
– und zwar im Sinne eines neuen
integral-modernen Bewusstseins - zu verstehen und sie architektonisch
entsprechend zu gestalten. Kulturelle und profane Räume und Relationen könnten dadurch aneinander heranreichen, sich berühren, in ein kreativ lebendiges Wechselspiel treten.
Die Stadt der Zukunft wird also mehr sein müssen als eine geschickte
Aneinanderreihung funktionaler Architekturen.
Mit ihrer
architektonischen und städtebaulichen Gestalt soll sie integrale Intelligenz,
kulturelle Qualität und Identität, transkulturelles Verständnis sowie
kompetenten Zukunftswillen verkörpern und ausstrahlen.
Die Stadt der Zukunft als Kunstraum
In der Stadt der Zukunft wäre die Produktion von akustischem und optischem
Abfall ebenso zu vermeiden, wie die Überlärmung der
menschlichen Psyche. Durch eine wahrnehmungs-ökologisch bewusste Stadtplanung, durch
entsprechende Architekturen und durch intelligent angelegte
Verkehrsstrukturen ließe sich auch der Lärm und Gestank der Straßen auf ein
verträgliches Minimum reduzieren. Und weil die Gestaltung der (Innen)Städte
sich an den integralen Bezugspunkten des
vieldimensionalen Raumes zu orientieren hätte, könnten die einzelnen Architekturen dessen einzelne Aspekte verdeutlichen und
zu entsprechend behutsamer Öffnung der Wahrnehmung einladen.
Kein Fassadismus mehr, sondern architektonische
Aussenräume - kreativ kombiniert, ökologisch, integral-modern, abstrakt-konstruktiv-konkret - als
Räume künstlerischer Gestaltung, für Skulpturen, Malerei und Formen- und Farbspiele
auf Augenhöhe. Neben den Einkaufsbereichen - und in sie vordringend - Orangerien,
Stein-, Kristall-, Sand- und Erdräume sowie wuchernde Natur. Spielplätze, Piazzas,
die auch als Ausstellungs- und Aufführungsforen z.B. für Skulpturen
oder auch moderne multimediale Performances genutzt werden könnten. Foren für transkulturelle Integral-Games, durch
die in intelligenten Formen Selbstorganisationsvorgänge des Lebens zu erfahren sind.
Intelligente und ökologische Funktionslandschaften mit künstlerisch gestalteten Formen von
Schaufenstern, Balkons, Erkern, Terrassen, Dachgärten, mit Skulpturen,
Farben, Stille-Zonen und leisen Klängen. Organoide
Architekturformen, Tensegrity-Architekturen, Pflanzenformen,
Wellenformen, Blitzformen oder fraktale und nichteuklidische Geometrie. Gut abgestimmt auf das jeweilige Umfeld als energetische
Ausgleichsfaktoren, unprätentiös, grundlegend einfach, schön, von Großzügigkeit und großer Ruhe getragen. Ein
Haus der Farbe, ein Haus des Klangs, ein Turm schnell fallender oder
aufsteigender Elemente, eine Halle, in der man das Pulsieren der
Pulsare im Weltall hören kann, Planetarien, die in den Zentren der
Städte dazu einladen, ins Weltall zu schauen. Räume, Plätze oder
Plattformen, die die Schnittpunkte des vieldimensionalen Raumes auf
ungewöhnliche Weise begreifbar werden lassen. Orte, die in
integral-modernen Formen den Mysterien des Menschsein - Zeugung, Geburt, Fruchtbarkeit, Tod - gewidmet sind.
Performances-Centers, Bibliotheken, Museen, Theater, Konzerthäuser, die bis
tief in die Nacht besucht werden können. Auf den Plätzen und Straßen
Wasserspiele, die ihre Atmosphären tatsächlich erfrischend entfalten,
ohne von Klimaanlagen oder Verkehr übertönt zu sein.
Wo könnte eine solche Stadt entstehen? In allen Städten sind (egal wie
schlecht ihre bisherigen Planungen gewesen sein sollten) vielfältigste
Möglichkeiten denkbar, sie Schritt für Schritt zu einem (kulturelles
Bewusstsein und Intelligenz kommunizierendem) Architektur- und Kunstraum
umzugestalten.
Die Stadt sollte dafür allerdings weniger als Bühne verstanden
werden, auf die nach Belieben austauschbare Kunstobjekte oder
Architekturen zu stellen sind, sondern vielmehr als eine energetische
Konstellation, auf die es - mit speziell zu entwickelnden Projekten - so zu
antworten gilt,
dass kulturelle Qualität wahrnehmbar wird.
Dafür gilt es bei der Ausbildung der Künstler anzusetzen und sie auch zur Schaffung von integral-modernen vieldimensionalen Räumen zu befähigen. Zu geringe Investitionen in die Projekte selbst wäre dabei nicht ungefährlich, denn schlechte Projekt-Realisierungen bringen die ihnen zugrunde liegenden Ideen in Misskredit. Wesentlich auch, dass das Erlebnis von Formen, Farben, Klängen
nicht mit Ideologien bepflastert
wird, sondern dass die künstlerischen Energien weitgehend ideologiefrei umgesetzt und wahrgenommen werden können.
Ohne Populismen.
Es könnte
für solche Ideen ein grosses künstlerisches und gestalterisches
Potential freigesetzt werden, das die entsprechende Kompetenz mitbringt
oder sich aneignen kann. Damit sollte die Entwicklung von
kulturellem und künstlerischem Know how einhergehen, das es erlauben
wird, jedesmal - wenn wir es einsetzen - mit gestalterischen, künstlerischen, kuturellen Fragen
gleichermaßen
verantwortungsvoll wie freiheitlich, behutsam und intelligent
umzugehen.
Auch wenn Architektur als ein wichtiges Strukturelement des nach aussen
erweiterten kulturellen Bewusstseins und als die öffentlichste aller
Künste gelten kann, so sollte sich mit ihr vergegenwärtigen, dass sie
nicht das kulturelle Bewusstsein selbst ist. Denn dieses formuliert
sich erst durch die Verknüpfungsleistung der unterschiedlichen
dynamischen Prozesse, Denk- und Empfindungsräume und profanen Zwecke, um derentwillen sie gebaut wird. Diese Verknüpfungsleistung
stellt jedoch eine hochkomplexe Anforderung dar, die nur aufgrund
einer glücklichen
interdisziplinären Zusammenarbeit zu leisten ist. Und genau daran hat
es dem 20. Jahrhundert elementar gemangelt.
Kulturell optionierte interdisziplinäre Zusammenarbeit ist die Voraussetzung,
um eine Stadt der Zukunft entwerfen und bauen zu können.
Obwohl schon Walter Gropius mit dem Weimarer Bauhaus ein bewusstes Mit- und
Ineinanderwirken der Künste postulierte, ist es in Bezug auf
Städteplanung und Architektur bisher kaum wirklich eingelöst. Zudem verkam in
der Dessauer Bauhauszeit der Ansatz des integralen Zusammenwirkens der
Künste mehr und mehr in Richtung eines kommerziellen und funktionalen
Designs. Und leider war die Architektur des 20. Jahrhunderts von den
damit verbundenen Missverständnissen sehr stark dominiert, was
letztlich dazu führte, dass sich die Menschen in Umgebungen alter
Architekturen oftmals wohler fühlen als in den Umgebungen neuer.
Bereits bei Gropius lag ein nicht unerheblicher Fehler darin, Architektur als Leitkunst zu propagieren, der sich alle anderen
Künste ausschmückend unterzuordnen hätten. Es muss daher auch heute
noch das Nein unterstrichen werden, das Gropius dazu von seinen besten
Bauhauskollegen dazu erfuhr. Nein, denn
die anderen Künste sind als Räume nicht zur Ausschmückung von Architektur da,
sondern sind als integrale Bestandteile zu verstehen, um derentwillen
Architektur – neben ihren profanen Funktionen - letztlich gebaut wird!
Indem viele Architekten die interdisziplinäre Idee des
„Gesamtkunstwerkes“ (wir denken dabei nicht an Wagners Opern!) vergaßen
oder es mehr oder minder allein zustande bringen wollten, blieb die
integrale Struktur des vieldimensionalen Raumes bisher völlig unterentwickelt.
Das „Gesamtkunstwerk“ wurde zwar viel diskutiert und belächelt,
doch kaum eingelöst. Sich des vieldimensionalen Raumes bewusst zu
werden und ihn – wenigstens präzedenzfallartig – in interdisziplinärer
Zusammenarbeit integral und differenziert zu gestalten, das könnte für die
Architektur-Qualität des 21. Jahrhunderts ausschlaggebend werden.
Zu der dafür notwendigen interdisziplinären Zusammenarbeit gibt es auf
Dauer keine ernsthafte Alternative.
Denn wenn Philosophen und KünstlerInnen aller Art - Maler,
Bildhauer, Komponisten, Schriftsteller - nicht von vornherein in die
Konzeptionen von Städtebau und Architektur einbezogen werden, wird an ernstzunehmenden Überlegungen, kreativen Ideen und innovativen Einwänden vorbeigebaut.
Damit wird vorhandes Know how übergangen und die Instabilität des vieldimensionalen Raumes, in dem
wir leben, so gesteigert, dass er früher oder später zerspringt oder in sich selbst
zusammenstürzt. Dagegen ist eine vertiefte gemeinsame
interdisziplinäre Zusammenarbeit zu setzen, die das Wissen und Erkennen
der einzelnen Disziplinen synergetisch zu einem Ganzen verknüpft, das Stabilität erlangt, weil es mehr
ist als die Summe seiner Teile.
Die Chance zukünftiger Architektur liegt daher genau darin, sich
der Notwendigkeit interdisziplinärer Arbeit bewusst zu werden. Stück um
Stück werden Architektur und Städteplanung dann das falsche Ideal
designter Fassadenflächen (die man als Fassadismus bezeichnen kann) zugunsten einer integralen Gestaltung aufgeben,
bei der künstlerische Formen von vornherein Bestandteil
interdisziplinär erarbeiteter Gestaltungskonzeptionen sind.
So wird die Stadt der Zukunft nicht zu einer zerfahrenen und überlärmten
Benutzeroberfläche verkommen, sondern sich als akustisch und optisch
ökologischer Kunstraum zum Ort und Raum moderner kultureller
Kommunikation entwickeln.
Es gilt dafür eine Reihe schlechter Gewohnheiten und falscher Prämissen
über Bord zu werfen. Sich auf jene Ideen und Projekte zu besinnen, die sich schon bisher an einer integralen vieldimensionalen Raumstruktur orientierten, kann dafür hilfreicher Ansporn sein. (s.a. bauhütte klangzeit wuppertal)
Berlin, im Frühjahr 2002 / neu durchgesehen im Dez. 2022
s.a. " Zukunftsforum Berlin - eine Alternative zum Berliner Stadtschloss"
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