Orwell 1984 - VARIANTE zu „Guernica“ nach Pablo Picasso/Paul Dessau
mit Texten von E.A.Poe („Grube und Pendel“) und Karl Mickel („nicht hinauslehnen“) für Sopran und Kammerensemble (Fl., 3 Viol., Vla., Vc., Hn., Fg., Kl., 2x Perc., 12 Kofferradios) | UA.: gruppe neue musik weimar, Berlin 1984 | Aufführungsmaterial vorhanden
Bei der Frage nach der Aktualität von Guernica im Jahr 1984 machte ich die Entdeckung, dass die Anzahl der Takte der Komposition P.Dessaus bis auf einen Takt mit der gematrischen Zahl von "Orwell" identisch ist. Da für mich das Orwell´sche "1984" tatsächlich im Jahr 1984 das aktuelle Guernica war, ergab sich aus den Anzahlen der Takt folgende Form:
14(=0) 5 (=I) 17(=R) 45 (=g) 21(=W) (G.P.) 5(=E) 40 (=8) 11(=L)
(I/J bzw. V/W haben gleiche gematrische Zahlen).
Die Buchstabenteile sind die Teile nach Dessaus Vorlage, die Jahreszahlenteile (multipliziert mit 5 – die Zahl des Menschen und des Leides), sind meine Originale auf Texte von E.A.Poe, aus „Grube und Pendel“ (die Ratten bei Poe wie bei Orwell) und die Auszüge aus „Nicht hinauslehnen“ von Karl Mickel.
Edgar Allan Poe: „Ich fühlte, dass ich auf dem Rand wankte“
Der drohende Sieg des Orwell´schen „großen Bruders“ in uns (es bedurfte noch nicht einmal des Rattenkäfigs, von dem E.A. Poe spricht) – wer wollte das wahrnehmen?
Die Konstituierung meiner Weimarer "gruppe neue musik weimar“ zum „Kammerensemble Paul Dessau“ am 17.12.1984 im Schauspielhaus Berlin, die noch am Abend des 17.12.84 verhindert werden sollte, war nach den vorangegangenen jahrelangen Kämpfen der verzweifelte Versuch, der Weimarer Gruppe eine Weiterarbeit und bessere Arbeitsvoraussetzungen zu ermöglichen - ein Kompromissangebot, das seitens der SED-Kulturmaschinerie zurückgewiesen wurde. Doch der Schüsse von vorn im damaligen Ideologie- und Stellungskrieg hätte ich mich vielleicht noch einigermaßen erwehren können; die Schüsse von hinten (der mit dem realsozialistischen Totalitarismus verbandelten Kollegen) waren wesentlich schlimmer und gingen an die Substanz.
Der in dieser Guernica-„Variante“ verwendete Text endet mit einem Textausschnitt aus dem letzten Abschnitt von Poe´s „Grube und Pendel“. Könnte dieser Textausschnitt heute ohne Zynismus gelesen und gedeutet werden?):
Edgar Allan Poe: "Da - ein mißtönende Gewirr von Menschenstimmen! Ein lautes Blasen wie von vielen Trompeten, ein schweres Dröhnen wie von tausend Donnern! Schnell schoben sich die Feuerwände zurück. Ein ausgestreckter Arm ergriff den meinen, als ich im Begriff war, bewusstlos in die Grube zu stürzen ... Die Inquisition war in den Händen der Gegner."
Alle Spieler bedienen auch Radios. Vor Beginn wählt jeder Spieler unterschiedlich einen Sender. Die Dynamik ist je nach Maßgabe auszusteuern. Es ist darauf zu achten, leicht bedienbare Radio-Koffergeräte zu benutzen.
Ausführungshinweise für den Sopran: Die kreuzförmigen Notenköpfe sind nur ungefähre Tonhöhenangaben und raunend auszuführen. Die beiden Texte sind miteinander verzahnt. Der Poe-Text kommt in überwiegend hohen Passagen, der Mickel-Text überwiegend in den tieferen Passagen.
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Zur Uraufführung am, 17.12.1984 im Konzerthaus Berlin (ehem. "Schauspielhaus) hielt die BZA am 18.12.1984 fest:
BZA, 18.12.
1984: "am markantesten"
zu "1984 - VARIANTE zu „Guernica“ nach Pablo Picasso/Paul Dessau": Wallmann hatte eine der drei Kammerensemble-Varianten von Dessaus „Guernica“ komponiert/arrangiert. Sie wirkte am markantesten u.a. mit dem Kontrast von Streicherwärme, Pikkoloschrillen, Schlagzeugeinsatz.“