25 Thesen - Kultur und modernes Christentum
von H. Johannes Wallmann --- KUNSTAKTION INTEGRAL-ART 2009 / 2011 - Anschlag der 25 Thesen am 2.6. 2011 an der Dresdner Kreuzkirche
Zu dieser INTEGRAL-ART-Kunstaktion zuvor ein Gedanke von Andrej Tarkowskij: »Wenn sich ein Nichtschwimmer ins Wasser stürzt, dann beginnt sein Körper […] instinktive Bewegungen zu seiner Rettung zu machen. Auch die Kunst […] existiert als Instinkt, der die Menschheit im geistigen Sinne nicht ertrinken lassen will.«
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Religiosität - neu und aufgeklärt-modern denken; in allen Kulturen und Religionen!
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Den 25 Thesen voran ging 2007 der Text "Das Religiöse und die Moderne"
Die 25 Thesen von H. Johannes Wallmann im Disput mit dem Philosophen Prof. Dr. Harald Seubert (Basel/München)
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Ein kleiner Junge fragte mich: "was ist Gott?". Ich antwortete: "der gute Geist des Lebens." Er fragte weiter: "Was ist Geist?" Meine Antwort: "Geist ist das, was wir denken, fühlen und glauben." (H.Johannes Wallmann 2021)
der Geist geht der Wirklichkeit voran
vergleichbare aufgeklärt-moderne Thesen könnten - um des friedlichen Zusammenlebens der Kulturen und Völker willen - auch in allen anderen Religionen/Kulturen gedacht werden
s.a. GLOCKEN REQUIEM XXI - mit Texten auf deutsch, hebräisch, hocharabisch; beginnend und endend mit einem Text von Anne Frank
"Kultur und Modernes Christentum" - 25 Thesen von Heinrich Johannes Wallmann (2009)
unter © creativ commons (CC BY-NC-ND 3.0) (s.u.)http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/
angeschlagen am 2.6.2011 an der Dresdner kreuzkirche; veröffentlicht in Susanne & H.Johannes Wallmann (Hg.): "Kunst - eine Tochter der Freiheit?" (KADMOS 2017)
1. Seit der Reformation – also seit bald 500 Jahren - hat sich in der Kirche theologisch nur sehr wenig bewegt. So wurden auch moderne theologische Ansätze (z.B. von Dietrich Bonhoeffer, Rudolf Bultmann, Dorothee Sölle oder Paul Tillich) aus der kirchlichen Praxis eher ausgegrenzt, als integriert. Zugleich bildeten die Kirchen gegenüber Versuchen (z.B. des Bauhauses), eine kulturelle Innovation in Gang zu setzen, immer wieder eine religiös- konservative Barriere. Damit stehen sie islamischer Ideologie offenbar näher als der Aufklärung und der Moderne, die aus der christlichen Kultur erwachsen sind.
2.
Viele Kirchenverantwortliche zielen noch heute auf eine Volks- und
Frömmigkeitskirche, die sich hinter Theologien und Traditionen der
Vergangenheit zurückzieht, anstatt die kirchliche Praxis für
aufgeklärte theologische Ansätze zu öffnen. Solche Verweigerung
hatte in Deutschland bereits in der Vergangenheit furchtbare
Folgen.
3. Durch den – theologisch verursachten
- allgemeinen Religiositätsverlust, der angesichts des 1.
Weltkrieges breite Bevölkerungsschichten erfasst hatte, wurde dem
pseudoreligiösen Durchmarsch Hitlers Tür und Tor geöffnet. Zudem
kollaborierten (unter Führung der „Deutschen Christen“)
christliche Kirchenführer mehrheitlich mit dem Nationalsozialismus.
Nach dem Nationalsozialismus entschlossen sie sich jedoch lediglich
zu dem vagen Stuttgarter Schuldbekenntnis, das weit hinter dem von
Dietrich Bonhoeffer formulierten Schuldbekenntnis zurückblieb. Wann
wird dies endlich korrigiert?
4. Unter „Führung“
der Stasi-IM in den Kirchenleitungen sowie z.B. den Mitgliedern der
„Christlichen Friedenskonferenz“ (CFK) kollaborierten die Kirchen
auch mit dem Realsozialismus und dem zweiten totalitären deutschen
Staat. Obwohl durch diese Kollaboration die massiven psychosozialen
Verbrechen des Realsozialismus in Abrede gestellt und somit gedeckt
wurden, unterblieb nach dem Ende des Realsozialismus ein
Schuldbekenntnis der Kirchen vollständig. Als wes Geistes Kind
erwiesen sie sich dabei? Auch die meisten „Wendetheologen“
stellten sich dem ganzen Umfang dieser Problematik kaum.
5. Anstatt ihre „Versäumnisse im Zentrum theologischer
Ethik“1) einzuräumen, schreiben sich die evangelischen Kirchen und
ihre „Wendetheologen“ heute die „Friedliche Revolution“ auf
ihre Fahnen, betreiben damit jedoch Augenwischerei. Denn manch
eine DDR-Kirchenleitung versuchte massiv jene kirchlichen
Mitarbeiter und Gruppen zu disziplinieren, die sich für eine
Liberalisierung innerhalb der DDR einsetzten. Außerdem segneten sie
die Stigmatisierung und Verteufelung von Zigtausenden
Ausreiseantragstellern ab. Damit lieferten sie diese Menschen, die
u.a. zu Tausenden in den DDR-Gefängnissen saßen, weil sie „Nein“
zum SED-Regime gesagt hatten, der äußerst unfriedlichen Willkür
des Ministeriums für Staatssicherheit sowie einer allgemeinen
gesellschaftlichen Entsolidarisierung aus (die auch nach der Wende
anhielt). Großes Leid entstand und die Biografien vieler Menschen,
die sich mutig gegen dieses totalitäre Staatssystem gestellt hatten
(und damit die Voraussetzungen für den Mauerfall schufen),
zerbrachen. Auch diesbzgl. blieb ein Schuldeingeständnis der Kirchen
aus.
6. Darf das Feld weiterhin kollaborierenden und
rückwärtsgewandten religiösen Mentalitäten überlassen bleiben?
Nein, denn der Preis dafür – die Weltkriege, der Holocaust, die
totalitären Staatssysteme von Nationalsozialismus und
Realsozialismus, die „Gottesstaaten“, der Klimawandel - ist
bereits zu hoch!
7. Angesichts der
menschheitsgeschichtlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts steht
die christliche Kultur vor der Herausforderung, sich gegen das
Entstehen vergleichbarer Katastrophen zu stemmen.
8. Unsere Kultur – aber auch die Menschheit als Ganzes – kann
sich die religiöse Schizophrenie nicht länger leisten, dass es
»zwei verschiedene Erkenntnisordnungen gibt: die des Glaubens und
die der Vernunft«. Denn dies führt zu ethisch völlig inakzeptablen
Verhaltensweisen, verhindert die Entwicklung eines vollen und ganzen
menschlichen Bewusstseins sowie eines zukunftstragfähigen
Wertesystems, das einen Neuen Bund zwischen
Universellem-Soziellem-Individuellem zu gewährleisten vermag.
9. Die o.g. Schizophrenie kann überwunden werden, denn
Religiosität, Aufklärung, Moderne und die mit ihnen einhergehenden
Erkenntnisse schließen sich nicht aus, sondern bilden eine integrale
Einheit, die es zukunftstragfähig zu gestalten gilt. Seit der
Aufklärung haben sich die besten Köpfe unserer Kultur um diese neue
Einheit und um entsprechende kulturelle Innovationen bemüht. Ihr
Erfolg blieb jedoch auch aufgrund der massiven religiös-konservativen
Barrieren äußerst begrenzt.
10. Nicht zuletzt
aufgrund dieser Schizophrenie entwickelten sich durch die modernen
Technologien (die tief in kleinste Teilchen, z.B. in Atome, Gene und
Ozon - und damit in die allgemeinen Lebensgrundlagen - eingreifen)
jene Eigendynamiken, die gegenwärtig dabei sind, das Leben auf
diesem Planeten zu vernichten. Auch der Klimawandel ist ein Resultat
dieser Eigendynamiken und der ihnen zugrunde liegenden Mentalitäten.
Aber er ist bei weitem nicht die einzige Bedrohung.
Anne Frank: "Solange die ganze Menschheit, ohne Ausnahme, keine
Metamorphose durchläuft, wird Krieg wüten und alles, was gebaut,
gepflegt und gewachsen ist, wieder abgeschnitten und vernichtet..." (Grundgedanke des GLOCKEN REQUIEM XXI)
11. Durch ihre – aus religiösem Konservativismus gespeiste -
Ignoranz gegenüber Aufklärung und Moderne verschärfen
Religionsführer und Kirchenverantwortliche nicht nur die
tiefgreifenden Probleme der Welt, sondern rauben unzähligen Menschen
die Möglichkeit, jenseits von Traditionen und Gewohnheiten eine
aufgeklärte und freiheitlich-verantwortliche Religiosität leben und
entfalten zu können.
12. In ihrem Buch „Atheistisch an
Gott glauben“ schreibt Dorothee Sölle: „Theologie als
kritische Selbstverständigung ist bestimmt durch jenes Ereignis, das
Nietzsche das ´große neuere´ genannt hat; das ´Ereignis, daß
>Gott tot ist< und daß ´wir´ ihn ´getötet´ haben. [...]
Nietzsche begreift jene Tötung als letzte Konsequenz aus dem
christlichen Gottesgedanken selbst, wie er sich in der
abendländischen Metaphysik zweier Jahrtausende entwickelt hat.
Durchdenkt man diese Konsequenz, so fragt sich´, ob Säkularisierung
etwas ist, das, dem christlichen Glauben und seinem Wesen
entgegengesetzt, diesem aufgezwungen wird und das ihn von außen her
zerstört, oder ob sie ein Vorgang ist, der sich folgerecht aus dem
Wesen des christlichen Glaubens ergibt.´ [Friedrich Gogarten]
Die zweite Deutung hat sich seit Friedrich Gogarten, Dietrich
Bonhhoeffer und Paul Tillich in der evangelischen Theologie der
Gegenwart immer stärker durchgesetzt.“2) Wie ging die
kirchliche Praxis mit dieser Deutung um?
13. Im
Sinne moderner Theologie ist es an der Zeit, sich von dem alten
Denkmodell „Gott“ zu lösen und „Gott“ nicht länger als
alten Herrn zu begreifen, der vom Himmel aus die Geschicke steuert,
sondern ihn als Begriff für universelle Intelligenz zu denken, aus
der die hohen Ordnungen des Weltalls und das Leben selbst
hervorgingen und der es sich auf allen Ebenen menschlichen Lebens zu
öffnen gilt. So gesehen, ist „Gott“ nicht tot, sondern äußerst
lebendig - allerdings ganz anders, als bisher gedacht.
14. Die natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde und die
Intelligenzpotentiale des Menschen sind das große Geschenk der
Evolution und der in ihr wirkenden universellen Intelligenz. Die
Evolution kann als Beleg für das Wirken dieser universellen
Intelligenz verstanden werden.
15. „Gott“ als
Begriff für höchste universelle Intelligenz, als Begriff für das
Ganze, als Begriff für einen Neuen Bund zwischen
Individuellem-Soziellem-Universellem, als Sinnbild der Liebe sowie
höchster ethischer Maßstäbe, als Begriff für eine neue Einheit
zwischen Mensch und Natur, wäre für eine zukunftstragfähige
Selbstorganisation menschlichen Lebens auf der Erde von grundlegender
Relevanz.
16. In solch modernem theologischen Sinne können
sich modern und aufgeklärt denkende Christen als erwachsen gewordene
„Kinder Gottes“ verstehen, die in vollem Umfang für ihr Tun und
Lassen sowie die Erhaltung der ideellen und materiellen
Lebensgrundlagen verantwortlich sind.
17. Jede Mutter gebirt mit ihrem Kind einen potentiellen Teilhaber an universeller Intelligenz.
Deshalb erwirbt jeder Mensch mit seiner Geburt genuine
Rechte der Teilhabe an den Lebensgrundlagen und den allgemeinen
Austauschkreisläufen. Zugleich erwirbt jeder Mensch die Pflicht,
dafür einzutreten, dass entsprechend der Goldenen Regel3)
jedem einzelnen Menschen diese Teilhabe gewährt wird. Das u.a. heißt
modernes Christsein und ist eine Voraussetzung zur Entwicklung von
„Christussubstanz“.
18. Christus war ein sehr
weiser, mutiger und pazifistischer Widerstandskämpfer. In ihm
manifestierte sich spirituelle „Christussubstanz“ - wie Joseph
Beuys es nannte. Diese „Christussubstanz“ ist in jedem Menschen
angelegt und kann als Quelle aufgeklärten Christentums verstanden
werden. Deshalb sollte sich modernes christliches Denken und Handeln
nicht gesellschaftlichen Gepflogenheiten unterwerfen.
19. Neu
und aufgeklärt gilt es auch das Religiöse überhaupt zu denken:
Als inneren - auf Gesamtzusammenhang gerichteten - Orientierungssinn,
der im Menschen das Sehnen nach dem Ganzen und dem
Ganzheitlich-Gebunden-Sein der Teile (und somit menschlichen Lebens
selbst!) bewahrt.
20. Das Religiöse und das
Philosophische bedingen sich gegenseitig. Ohne das Philosophische –
als Streben nach Freiheit und integraler Erkenntnis - gerät das
Religiöse in Gefahr, in ignoranter Ideologie, Machtpolitik und
gesellschaftlicher Reputation zu erstarren. Ohne das aufgeklärt
verstandene Religiöse gerät andererseits das Philosophische in
Gefahr, sich in den Labyrinthen des Intellekts zu verlieren.
21. Mittels einer Kultur, die als Werte- und
Intelligenzübertragungssystem funktioniert, sowie mittels moderner
theologisch-philosophischer Orientierungen würde es möglich, ein
lebendiges modernes religiöses Leben und Wertesystem zu entfalten,
in das alte religiöse und philosophische Weisheiten (z.B. die
Goldene Regel) ebenso einbezogen werden können wie die modernen
Künste, Wissenschaften und ethisch zukunftstragfähige Maßstäbe
politischen und wirtschaftlichen Denkens und Gestaltens.
22. Sowohl avancierte Wissenschaften und Künste, Philosophien
und Theologien, als auch Demokratie, Politik, Wirtschaft und
Technologie können nur in dem Maße als zukunftstragfähig sowie als
Energien und Manifestationen universeller Intelligenz gelten, wie sie
dieser aufgeklärt-modern entsprechen und dabei aller Fachidiotie
abschwören. Dadurch werden sie zu Elexieren der Sicherung der
Lebensgrundlagen sowie der Kultur eines neuen und aufgeklärten
religiösen Bewusstseins.
23. Mittels
kritisch-historischer Theologie sowie entsprechend neuen
theologischen Deutungsperspektiven können alte „Große
Erzählungen“ metaphorisch neu und aufgeklärt-modern verstanden
werden.
24. Während es sich für die
Entwicklung einer modernen Religiosität von zukunfstdestruktiven
Traditionen und Gewohnheiten zu trennen gilt, heißt es sich bewusst
zu bleiben, dass Spiritualität und religiöse Kulturtechniken –
wie Gebet und Meditation – nicht aufgegeben werden dürfen,
denn sie sind Lebenselexiere und haben sich seit Jahrtausenden
bewährt. Es gilt - auch um der Zukunft willen - sie nicht
länger religiös-konservativen Vereinnahmungen zu überlassen.
25. Wenn das Leben auf diesem Planeten dauerhaft gewährleistet
werden soll, befinden sich die Weltreligionen gegenüber der
gesamten Menschheit in einer umfassenden Verantwortung, das Schisma
zwischen Religiosität, Aufklärung und Moderne zu überwinden, sich
im Wettbewerb um die besten Beiträge für eine zukunftstragfähige
Gestaltung der Welt als Geschwister zu verstehen und
unmissverständliche Schritte in Richtung einer umfassenden
Entideologiserung religiöser und kultureller Traditionen zu
unternehmen. Zumal Aufklärung und Moderne (sowie deren große
Katastrophen) aus ihr hervorgingen, kommt dafür der christlichen
Kultur – und auch den aus ihr hervorgegangenen säkularen
Kulturstrukturen – eine ganz besondere Verantwortung zu.
Heinrich Johannes Wallmann, Berlin, am 8. Dezember 2009
---Nachbemerkung:
Es sei unterstrichen, dass die in den 25 Thesen genannte theologische und
politische Problematik keineswegs nur den Protestantismus angeht, sondern
nicht minder den Katholizismus. Daher ist auch die katholische Kirche und
Theologie entsprechend zu hinterfragen. Interessante Anhaltspunkte dafür bietet
das 2016 erschienene Buch »Der erste Stellvertreter« von David Kertzer (Darmstadt 2016), das das
ganze Ausmaß der »faschistischen Verstrickung« des Katholizismus offen legt.
Anmerkungen:
1)Wolf Krötke zitiert nach Ehrhart Neubert: »Vergebung oder Weißwäscherei«, Freiburg i. Br. (Herder) 1993, S. 73 f.
2)Dorothee Sölle: »Atheistisch an Gott glauben«, Olten / Freiburg i. Br. (Walter), 1968, S. 52 f.
3)Die
Goldene Regel besagt: »Was Du nicht willst, das man dir tu, das füg
auch keinem anderen zu«. Allgemeiner kann sie heute folgendermaßen
lauten: Handle so, dass deine Handlungen Bestandteil eines Vertrages
sein könnten, der sowohl für dich als auch für alle anderen Menschen
fair ist.
© creativ commons (CC BY-NC-ND 3.0) (s.u.)
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/---
GLOCKEN REQUIEM DRESDEN - Stadtklang-Komposition für 129 vernetzte Dresdner Kirchenglocken
EUROPA? KULTUR-REFORMATION! anti-totalitär & integral-modern (bitte anklicken) - Aufruf und Frage in 26 Reflexionspunkten von H.Johannes Wallmann
s.a. Deschner, Karlheinz: Kriminalgeschichte des Christentums. 10 Bände. Rowohlt 1986ff.
Antworten auf die Zusendung der 25 Thesen
1.4. 2010: "Sehr geehrter Herr Wallmann, herzlich danke ich Ihnen für Ihre anregenden, mutigen und visionären 25 Thesen "Kultur und modernes Christentum". Eine hochinteressante Auseinandersetzung mit geistesgeschichtlichen und kulturhistorischen Tendenzen der Gegenwart. ... Ihr R. Meister" (R.Meister, Generalsuperintendent von Berlin, ab 2011 Landesbischof von Hannover)
2.3. 2010 (offenbar fehlgeleitete Email): "Kann da jemand eine nette kleine Antwort vorbereiten, die ich dann unterschreibe? DANKE sagt p" - Dr. Petra Bahr, Kulturbeauftragte des Rates der EKD
14.6.2011: "Sehr geehrter Herr Wallmann, sehr freundlich danke ich Ihnen für Ihre Mail und die Zusendung Ihrer 25 Thesen. Ich habe sie mit Gewinn und großer innerer Zustimmung gelesen. Die Idee, diese Thesen an der Dresdner Kreuzkirche anzuschlagen, ist wirklich höchst originell! Mit freundlichen Grüßen Friedrich Wilhelm Graf " (Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich Wilhelm Graf, Lehrstuhl für Systematische Theologie und Ethik Ludwig-Maximilians-Universität München)
22. Juni 2011: „Sehr geehrter Herr Wallmann, freundlichen Dank für Ihre Information. Ich war selber beim Kirchentag. Aber wie es bei solchen Veranstaltungen großer Mengen immer ist, irgendwas - und meistens recht viel - entgeht einem doch. Ich schaue mit Respekt auf Ihr Engagement, bitte aber auch um Verständnis, dass wir als Journalisten nicht Thesen verbreiten, sondern Beobachtungen mitteilen. Und da gehen wir die von Ihnen angeforderte Thematik ja faktisch in jeder Ausgabe mit journalistischen Mitteln an. Mit freundlichen Grüßen Ihr Johannes Röser“ CHRIST IN DER GEGENWART Redaktion, D - 79104 Freiburg
28.03.2015: "Lieber Herr Wallmann, zunächst einmal muss ich mich dafür entschuldigen, dass Ihr Brief irgendwo im Prozess bei uns verloren gegangen ist. Danke, dass Sie ihn noch einmal geschickt haben! Was darin zum Ausdruck kommt, ist ein großes Engagement – und insbesondere Ihre Musikproduktion ist sehr beeindruckend. Auf Ihre Thesen kann ich nicht in der Ausführlichkeit antworten, die ich mir selbst wünschen würde. Es sind noch 400 Mails im Laptop, die bearbeitet werden wollen. Aber in jedem Falle so viel: Ich stimme Ihnen nicht in allem zu: für mich ist der persönliche Gott, wie er in uns den biblischen Geschichten begegnet, sehr wichtig. Da wäre mir die „universelle Intelligenz“ zu wenig. Ich glaube auch, dass es sehr vernünftig sein kann, sich die große „story“, die in der Bibel beschrieben wird, zur eigenen „story“ werden zu lassen. Ich habe das in einem Buch, in dem ich mit meinem Sohn auch über diese Fragen diskutiert habe, näher ausgeführt . Aber in vielem, was Ihre Thesen enthalten, bin ich Ihnen auch nah. Was mir nicht gefällt, ist der pauschal abwertende Ton insbesondere in These 11. Da finde ich all die engagierten und nachdenklichen Menschen an der Spitze der Kirche, mit denen ich zusammen arbeite, wirklich nicht wieder. Und dass Bonhoeffer, den Sie auch heute noch marginalisiert sehen, der wichtigste Theologe nicht nur für einen meiner Vorgänger als Ratsvorsitzender (W. Huber), sondern auch für mich selbst ist, passt irgendwie nicht ganz mit Ihrem Bild der Kirche und ihrer Leitung zusammen. Am 12.4. werde ich in Flossenbürg anlässlich seines 70. Todestages einen Fernsehgottesdienst halten. Die Fragen, die Sie ansprechen, sind alle wichtig und spannend. Die Diskussionen sind aus meiner Sicht dann am ertragreichsten, wenn wir die jeweils andere Position so fair wie möglich darstellen. Bei Manchem bin ich bei Ihnen, bei anderem nicht. In jedem Falle Danke für Ihre Anregung zum Nachdenken!
Herzliche Grüße! Heinrich Bedford-Strohm" (Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzender)
Anmerkung von H.Johannes Wallmann zur Email von Herrn Bedford-Strohm: Immer wieder habe ich wie viele andere jene Erfahrungen machen müssen, die zu These 11 führten … - Was Herrn Bedford-Strohms „persönlichen Gott“ angeht, so sei auf Joh. 4,24 verwiesen, wo es heißt: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ - Bzgl. Bedford-Strohms Einlassungen zu Bonhoeffer ist zu befürchten, dass Theologen sich hinter Bonhoeffer als Schutzschild verstecken, um ihre Kirche nicht auch nur annähernd kritisieren zu müssen. - Leider ging Herr Bedford-Strohm nicht auf die kirchliche Ausgrenzung der modernen Theologien z.B. von Paul Tillich oder Dorothee Sölle ein. - Es heißt, dass Landesbischof Lilje sich bei Paul Tillich dafür entschuldigt haben soll, dass Tillich keinen Lehrstuhl erhalten hat (Kirchenleitungen entscheiden über Theologie-Lehrstühle). Solche Ausgrenzung war und ist allerdings noch viel mehr ein Schuldigmachen an unserer Kultur als an der Person Tillichs.
11.07. 2015: Lieber Herr Wallmann, ich habe die 25 Thesen näher betrachtet und sehe, dass das Verbindend-Gemeinsame sehr viel stärker akzentuiert ist als trennende Akzente, die wir setzen mögen. Ihre überaus scharfsichtigen Thesen 1-5, mit dem Hinweis auf die Komplizenschaft in zwei Totalitarismen einschließlich entsprechender Geschichtsklitterungen postfestum kann ich ohne alle Abstriche unterschreiben. Der Verweis gerade auf Bonhoeffer liegt mir sehr nahe. Ob unter 6 ohne weiteres der 'Klimawandel' aufgenommen werden sollte,- oder nicht die ökologische Krise in weiterem Sinn-, auch die todbringende kapitalistische Zerstörungsordnung (Hardt und Negri haben mich sehr beeindruckt) wäre zu fragen. Die Summe in Punkt 7 ist völlig zutreffend: Denn nur aus einem tieferen transzendenten Grund, der Dimension der Vergebung und Errettung, wo sie denn keinen Widerspruch mit der Vernunft eingeht: kann überhaupt ein Antidotum zu den vielfachen innerweltllichen Letztutopien aber auch einem kurzgreifenden Laissez faire gewonnen werden. So ist die Übewindung der Schizophrenie, die zwischen Glaube und Vernunft aufklafft und die Suche ihrer geeigneten transdifferenziellen Einheit in der Tat ein zentrales Problmation. In meinem umfänglichen Buach 'Zwischen Religion und Vernunft' habe ich dazu problemgeschichtlich und konstruktiv meinen ersten Beitrag zu geben versucht. In Neu-Vergegenwärtigung der großen synthetisierenden Systeme und gerade in einem von der Zentralität des Todes Gottes und der kenotischen Struktur des christlichen Glaubens, der eben dies gerade kein Fremdköprer ist. Von Aufklärung möchte ich mit Ihnen sprechen, freilich nur von einer solchen, die über sich selbst aufgeklärt ist - wie es etwa Horkheimer/Adornos 'Dialektik der Aufklärung' zeigt. Dabei sind mir Erwägungen Hegels zentral geworden. Ich möchte die Einheit von Religion, Kunst und Wissenschaft daher wie Sie im Sinn eines - dem hen diaphorn heauto - folgenden Intelligenzübertragungssystems verstehen; vermutlich weniger monistisch als sie. Sprünge von der Einzelwissenschaft ins Ganze wie bei Teilhard sind mir suspekt, ich habe manches, bei großen Vorbehalten von Aurobindo gelernt, noch mehr von Whitehead, doch sind auch in der europäischen phil. und Kunsttradition vielfache Ressourcen aufzufinden. Was auch bei Ihnen aufscheint, ist ein inter- nicht transkultureller Bereich. Er wurde in meinem eigenen philosophischen Denken immer markanter und wesentlicher. Dass wir uns selbst erst aus der Tiefe verstehen können, wenn wir den anderen verstehen und vice versa. Die Funktionärskirchen und -theologien, die auf einem halben Weg stehen bleiben, sind dazu in keiner Weise geeignet. Deshalb bedarf es in der Tat eine Renovatio: Dies (und natürlich auch die Absage an alles 'Fachidiotentum') begeistert mich förmlich an Ihrem Text. Ihr Buch zur 'Integralen Moderne' werde ich mir kommen lassen und es gründlich studieren. Die Moderne in ihrer hohen Artikuliertheit und zugleich Zerrissenheit ist in all dem unhintergehbar.
Der Wunsch, dass wir uns persönlich treffen möchten , wird durch Ihre Texte noch gesteigert: Ich sehe in Ihrem Denken wesentliche Ansätze zu einem weitergreifenden Denken, wie ich es selbst eher als 'Weltphilosophie' umschreiben würde.
So weit sehr vorläufig für heute, HS. Prof. Dr. Harald Seubert, Basel/München/Nürnberg Die 25 Thesen im Disput mit Harald Seubert (bitte hier anklicken)
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