"bedauerliche Zufälle" der DDR-Musikschreibung und deutsch-deutschen Musikforschung? / INTEGRAL-ART-Kunstaktion 2021 (4)
Trotz Hitlers Bücherverbrennung und der Diffamierung von Kunst und Musik als „entartet“
konnte die nationalsozialistische Ideologie das Bewusstsein für die von ihr kulturell
eliminierten Kunstwerke nicht vernichten.
Die Vertreter/Vollstrecker der realsozialistischen Ideologie gehen diesbzgl. nun perfektionierter vor. Sie vollziehen totalitäre kulturelle Eliminierung, indem sie noch heute dafür sorgen, dass ehem. ddr-oppositionelle Künstler und ihre - der Freiheit und Verantwortung verpflichteten – Biografien und Werke als inexistent behandelt werden. In Veranstaltungen, Büchern und Periodika sollen sie möglichst von vornherein gar nicht erst auftauchen oder höchstens verkleinert und zersetzt (was glücklicherweise nicht immer gelingt).
Nach dem Ende des Realsozialismus gab es keine Achtsamkeit gegenüber Künstlern, die im Realsozialismus anti-totalitären Widerstand leisteten. Stattdessen wurden sie kulturell weiterhin eliminiert. Auch fand keine - oder nur eine höchst periphere - Aufarbeitung der realsozialistischen Totalitarismusverstrickungen des Kultur- und Musikbereiches statt.
Somit wird (auch mit Hilfe vieler absichtlich ausgelassener Hinweise) jungen Kunst- und Musikwisserschaftlern ebenso wie der Kultur als Ganzes die Reflexion anti-totalitär gestandener Kunstwerke/ Biografien/ Konzepte großflächig vorenthalten. Solche Unterdrückung kommt der Förderung von Mitläufer- und Anpassermentalitäten gleich und treibt die Gesellschaft geistig-kulturell "bedenkenlos" erneut in die Arme totalitärer Ambitionen. Dazu schweigen?
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Die unzureichende Aufarbeitung vorangegangener Totalitarismusverstrickungen ist ein direkter Wegbereiter neuer Totalitarismen.
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s.a. Kultur und Künste nur als Verschleierungspotential? (hier anklicken)
s.a. ein "kapitaler Systemdefekt" in Musik und Musikwissenschaft (hier anklicken)
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"erkennen, daß Kunst und Handwerk miteinander soviel zu tun haben, wie Wein mit Wasser. Im Wein ist wohl Wasser drin, aber wer vom Wasser ausgeht, ist ein Pantscher.“ (Arnold Schönberg)
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integral-art.de - h. johannes wallmann, 27.5.2021
04347 Leipzig
Ein bedauerlicher Zufall ...
Lieber Reiner K1),
pünktlich zu Friedrich Goldmanns 80. traf bei mir am 27.4. 2021 Dein Goldmann-Buch ein sowie Dein leider undatierter und ununterschriebener Brief mit der „Schmunzel“-Beilage (mein Brief vom 30.12.89 an Dich - so sehr kann man sich irren!). Vielen Dank. Charlotte Seither hatte mir schon vor längerer Zeit eine "Goldmann-Biografie" von Dir angekündigt. Zumal Du schriebst, dass Frank Schneider diese Publikation angeregt hat, hätte es mich (angesichts meiner Vor- und Nach-Wende-Erfahrungen mit Armin Köhler, Georg Katzer, Frank Schneider & Co.) schon ziemlich gewundert, wenn auf S.15 Deines Buches unter Goldmanns Schülern auch mein Name erwähnt wäre. Darf ich spotten? Welch „bedauerlicher Zufall“ höre ich sagen.
Wallmann - ein "Niemand"? Nach dem sehr guten Unterricht bei Günter Lampe in Weimar, wo ich trotz Bestnoten aus politischen Gründen 21-jährig vom Kompositionsstudium relegiert wurde, war ich Goldmanns erster Schüler. 1976-79 privat, dann 1980-81 sein erster AdK-Meisterschüler in Ostberlin. Ich danke ihm eine hervorragende Schärfung meines kompositorischen Handwerks. Doch schon 1978/79 hatte ich mit „Synopsis“ zu Grafiken von Kurt W.Streubel eine konzis ausgeführte Kompositions-Höhe von Klang- und Raumentfaltung erreicht, die deutlich über Goldmann hinausging. So war es sowohl für ihn als auch für mich etwas tragisch, dass ich in meinen beiden AdK-Meisterschülerjahren von ihm kaum noch etwas zu lernen vermochte ... Trotzdem förderte er mich, bis ich mir erlaubte, ihm ab und zu ein paar Wahrheiten zu sagen ... Zumal es mit Musik um eine integrale Einheit von Idee und Material geht (s.a. mein Buch „Integrale Moderne - Vision und Philosophie der Zukunft"; Pfau-Verlag 2006), reicht Handwerk allein eben nicht aus; es bedarf entsprechenden Geistes. Denn andernfalls gerät (gerade künstlerisches) Handwerk leicht zum Missbrauch. Etwa zur Ausstaffierung von Macht und Ideologie, zur Erlangung individueller Vorteile oder auch zu Eliminierungszwecken – es gibt (auch außermusikalisch) dafür schlimme Beispiele ... Es war Kurt W.Streubel, der - seine Kunst mit den drei Worten „abstrakt-konstruktiv-konkret“ umreißend - mir ab 1976 die philosophischen Defizite Goldmanns tieflotend ausglich, was für mein gesamtes Schaffen enorm wichtig wurde. Streubel, der seit der Wende ebenfalls mehr oder minder zu einem „Niemand“ gemacht wurde und wird, verwies z.B. mit „individuell-universell-sein“ - einem Gedanken aus seiner „Antioper“ - auf große Fragen des Menschseins. Und darauf, dass es mit Kunst/Musik jenseits des „Interpreten- und Virtuosenhimmels“ (wie er es nannte) um deutlich mehr als nur um Handwerk gehen muss. Mit seiner Kunst hatte Streubel im Thüringen der 50er die Formalismus-Diskussion ausgelöst und stand u.a. gegen jegliche Käuflichkeit von Kunst und Künstlern ...
Ist es lediglich ein Zufall, dass Frank Schneider Musik als „Hure“ bezeichnete, wie sich Ralf Hoyer erinnert und ihm widersprach? Zufall, dass Georg Katzer – nachzuhören auf Deutschlandfunk Kultur 26.11. 2020 – seine "Prostitution" (so seine eigene Wortwahl) angesichts seines ständigen DDR-Westreisepasses persönlich eingestand, sich jedoch - assistiert u.a. von einem Miglied des GEMA-Wertungsausschusses - 2013 in Leipzig als DDR-Oppositioneller inszenierte? Vertuschungsaktion? Lt. seiner Email (23.6.2013; s. K&CoDok10) an mich entschied Georg Katzer seitens des SED-gesteuerten DDR-Komponistenverbandes wesentlich mit darüber, welche Werke gedruckt werden durften, welche nicht ... Auch wenn er 2013 in Leipzig aus seinen Stasi-Akten las: ein DDR-Oppositioneller war Georg Katzer ganz sicherlich nicht (Stasi-Mielke ließ auch Akten über allerhöchste SED-Mitglieder führen - z.B. über Hans Pischner, der erst gern Nationalsozialist, dann gern Realsozialist sowie SED-ZK-Mitglied und DDR-Berliner Staatsopern-Intendant war).
Was mich (ein „Niemand“?) angeht, so kommt in der - ebenfalls von Frank Schneider beeinflussten - Weimarer2) DDR-Musikforschung und ihrer Publikationsreihe "KlangZeiten - Musik, Politik und Gesellschaft"3) weder mein Name noch die "gruppe neue musik weimar " vor, die - wie Du weißt - 1975-85 von mir initiiert/geleitet wurde, oder mein Wuppertaler KLANGZEIT-Projekt, an dessen Titel sich diese Reihe bediente. Geschweige denn mein "rivolto"4), mit dem ich 1983 im TiP vom Berliner „Palast der Republik“ ein metaphorisches Zeichen ddr-oppositioneller/anti-totalitärer Intention setzte. So entzog ich mich mit "rivolto" ddr-ideologischer Vereinnahmung, wodurch unser kulturpolitisch begründeter DDR-Ausreiseantrag früher oder später unumgänglich wurde. Die von Dir initiierte Uraufführung von "rivolto" am 11.11. 1983 im TiP durch die "gruppe neue musik weimar" wurde von Frank Schneider moderiert ... Friedrich Goldmann hatte für das Programmheft einen Text über „rivolto“ und mich geschrieben, den Peter Jannoch unmittelbar als „lieblos“ bezeichnete. Ich las ihn dummerweise vor der Aufführung, was mich angesichts der ohnehin höchst angespannten Situation heftig anging ... TiP-Musik-Chefdramaturg Dieter Rumstig war über "rivolto“ empört und schrie mich vor versammeltem Publikum an: "Wallmann - wir kennen Sie, Sie sind ein Revoluzzer" (so merkte es sich Thomas Böttger).
Wenn auch nicht gerade den Titel "rivolto“, so hattest Du als Verlagslektor des DVfM Leipzig diese Komposition in Auftrag gegeben und in Verlag genommen. Dass Du sogar die Druckausgabe (1984er Zweitfassung) durchzusetzen vermochtest – dafür habe ich Dich bewundert und als integer verehrt; s.a. mein o.g. Brief an Dich. Oder geirrt? Dir ist sicherlich bekannt, dass Georg Katzers Meisterschüler Helmut Zapf den Titel "rivolto" 1989 für eine Komposition übernahm, die er im Hinblick auf das französische „1789“ schrieb – ein Auftrag des Dresdner „Zentrum für zeitgenössische Musik“ von Udo Zimmermann (der u.a. Mitglied der SED-Bezirksleitung Dresden war). So konnte die ddr-oppositionelle/anti-totalitäre Intention meines "rivolto" und die damit verbundene Biografie aus dem Bewusstsein der Neuen Musik und ihren Konzertprogrammen getilgt werden ...
Einer der beiden „rivolto“-Komponisten ist seit vielen Jahren Mitglied des GEMA-Wertungsausschusses. Letzterem ist mein authentisches Einstehen für die Freiheit und Verantwortung von Kunst/Musik nichts wert. (Man könnte darin eine Missachtung des Grundgesetzes Art. 5/Abs.3 sehen ... ) Ebensowenig wert wie die zahlreichen Rundfunk-Liveübertragungen bzw. Sendungen meiner Kammer- und Orchestermusik, meine - teils von Zigtausenden besuchten - großen Stadt- und Landschaftsklang-Kompositionen, meine drei veröffentlichten Bücher und die zahlreichen ausgezeichneten Rezensionen zu meinen Werken.
Aufgrund der „neuentdeckten Schönheit“ meiner Musik, die „begeistert“ - so und ähnlich heißt es jedenfalls in zahlreichen Rezensionen - könnten durch meine Musik eines Tages sogar der GEMA (die sich Ende der 90er auf Grund meiner Klage zu einer Nachzahlung in fünfstelliger Höhe gezwungen sah) nicht unerhebliche Einnahmen zufließen. Wenn denn die gegen mein Werk auch in den vergangenen 31 Jahren errichteten Quasi-Stasi-Barrieren fallen ...
Auch angesichts der o.g. „bedauerlichen Zufälle“ (deren Aufzählung sich leicht fortsetzen ließe5) ) und der versuchten kulturellen Eliminierung meiner Musik, Ideen und Person vermochte ich kompositorisch wie kulturphilosophisch ein höchst substanzielles Lebenswerk zu schaffen, das mich stolz und glücklich sein lässt. Mit ihm geht es um nicht weniger als um große Fragen von Musik, Kunst, Kultur. Und - beginnend mit BAUHÜTTE KLANGZEIT WUPPERTAL (mit der ich an Bauhaus-Ideen anknüpfend die Begriffe Klangkunst und Klangzeit neu prägte und in eine erste große Öffentlichkeit brachte) - um eine entsprechende zukunftstragfähige Neupositionierung von Neuer Musik sowie des Kultur-Begriffs überhaupt (s.a. pdf-Anlage 7). Und somit auch um die Überwindung des von "Euch" wesentlich mitverursachten geistig-kulturellen Kahlschlages. Daher danke ich herzlich allen, die dazu beitrugen, dieses Lebenswerk zu ermöglichen; besonders meinen Lehrern Günter Lampe, Kurt W.Streubel, Friedrich Goldmann, aber auch allen beteiligten Fachleuten wie Dir!
Warum also um der Zukunft willen nicht die Fakten anerkennen und offen über Totalitarismus-Verstrickungen sprechen und diese behutsam aufarbeiten, auch unter Einbeziehung von einem "Niemand" wie mir? Oder wurde auch nach der Wende so sehr gelogen und mittels „Verschleierung, Vertuschung, Verhübschung“ (s.u. Link2) geistig-kultureller Kahlschlag betrieben, dass Enttarnung gefürchtet wird? Oder wollt „Ihr“ nach den alten Totalitarismen nun mittels „Handwerk“ auch neuen – euro-nationalistischem, chinesischem, russischem, islamistischem und und und – Totalitarismus „geistig-kulturell“ den Weg bereiten?
Auch wenn Du nach der Wende als Mitarbeiter des Bärenreiter-Verlages meine versuchten Kontaktaufnahmen zu Dir bereits eigenartig abweisend behandeltest und nun offenbar mit dazu beitragen möchtest, meinen Namen vergessen zu machen, tut es mir irgendwie leid, Deinen Brief so beantworten zu müssen. Denn Du hattest bei mir einst einen fast ebenso „großen Stein im Brett“ wie Friedrich Goldmann ...
Viele
Mai-Grüße von Berlin nach Leipzig,
H.Johannes Wallmann
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P.S.: Ich erlaube mir, diese Email evtl. auch weiteren Interessenten zugänglich zu machen.
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1)Anlage
1a/1b: bin etwas verwundert, dass Du lt. Deiner website als „Reiner
K“ Gedichte schreibst und veröffentlichst. Daher 2 Dokumente mit
meinen Reiner-Kunze-Liedern und meinem Reiner-Kunze-Zyklus 2009. Hier
der Link zur Deutschlandfunk-Aufnahme der UA im KMS der Berliner
Philharmonie 2009
3)Anl.3:
Titelbild des Meinhold-Buches "Prominente Professoren der
Musikhochschule Weimar als Handlanger der DDR-Staatssicherheit - Zwei
Fallbeschreibungen mit Dokumentation“ (2021). Diese Studie wurde
durch die ignorante Weimarer/Jenaer DDR-Musikforschung quasi selbst
provoziert.
4)Anl.4:
2 Dokumente zu "rivolto"
5)Anmerkung: s.a. meine/unsere Bücher (bitte hier anklicken)
weitere Anlagen:
Anl.5:
Rezensionen-Zusammenstellung zu meinem Schaffen
Anl.6:
Rezensionen-Zusammenstellung zu meiner Schrift „Integrale Moderne“
(PFAU 2006)
Anl.7: pdf "EUROPA? KULTUR-REFORMATION!
anti-totalitär & integral-modern" (mit anklickbaren Links
zu meinem Schaffen)
Link2:
»Verschleierung,
Vertuschung, Verhübschung« (bitte hier anklicken)
Ein chinesisches Sprichwort besagt, dass ein Schüler, der seinen Lehrer nicht ehrt, schlechter ist als ein Hund. Im Grunde ist für das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern aber entscheidend, dass – wenn beide gut sind – der Schüler besser werden muss als sein Lehrer. Hündisches Verhalten ist da unangebracht. (H.Johannes Wallmann)
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